Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 816

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Die Lage wurde kritisch und mit atemloser Spannung, zwischen Angst und Hoffnung schwankend, harrte die Bevölkerung der kommenden Ereignisse.

Ihre Geduld sollte nicht auf eine allzu lange Probe gespannt werden. Um ein Viertel vier Uhr nachmittags ertönten die ersten Schüsse.

Gegen drei Uhr mittags fuhr der revolutionäre Dampfkutter „Uraletz“, der eine Deputation der Matrosen an Bord hatte, an dem regierungstreuen Kanonenboot „Teretz“ vorbei und soll dasselbe durch Signalements aufgefordert haben, sich dem revolutionären Geschwader anzuschließen. Nach einer anderen Version soll der „Uraletz“ die von den Offizieren entwendeten und soeben erst wiedergefundenen Verschlussstücke der Geschütze an Bord gehabt haben und dieselben nach dem „Potjomkin“ habe bringen wollen. Jedenfalls steht es unumstößlich fest, daß das regierungstreue Kanonenboot „Teretz“ – und nicht die „Meuterer“ – als erstes das Feuer begonnen hat. Es ist ferner wichtig festzustellen, daß auch von Regierungsseite die ersten Schüsse nicht von der Mannschaft, sondern von den Offizieren des „Teretz“ abgegeben wurden. Der „Uraletz“ wurde beschädigt und war nicht mehr in der Lage, die Fahrt fortzusetzen. Die Verwundeten des „Uraletz“ wurden durch einen in Begleitung des revolutionären Torpedobootzerstörers „Swirepy“ sofort herbeigeeilten Dampfer weggeschafft und der „Uraletz“ selbst nach dem Hafen geschleppt.

Mittlerweile hatte die Besatzung des neben dem „Teretz“ stehenden regierungstreuen Minenschiffes „Bug“, das zirka 340 Sperrminen mit mehr als 1200 Pud Pyrorilin an Bord hatte, gleich bei Beginn der Schlacht die Senkvorrichtungen des Schiffes geöffnet und der „Bug“ war in einer halben Stunde vor aller Augen bis auf die Mastspitzen versunken. Diese Tat der Mannschaften verdient in der rühmlichsten Weise hervorgehoben zu werden, da sonst im Falle einer Explosion der Minen der ganze an der Bucht liegende Stadtteil vernichtet worden und zahllose Menschenleben zugrunde gegangen wären.

Zu gleicher Zeit eröffneten die Panzerschiffe „Rostislaw“ und „Tri Swjatitelja“, der Kreuzer „Pamjat Merkurija“ und die Batterien der Nordseite das Feuer gegen den revolutionären „Otschakow“, während gleichzeitig „Swirepy“ durch Schüsse vom „Teretz“ kampfunfähig gemacht wurde. Der Steuermann des „Swirepy“ wurde getötet und das Schiff wurde durch die Welle an die Längsseite des Kreuzers „Pamjat Merkurija“ herangetrieben, der dem bereits wehrlosen „Swirepy“ trotzdem unter heftiges Feuer nahm und die gesamte Besatzung tötete. Ein Teil der Mannschaft des „Swirepy“, der sich ins Wasser gestürzt hatte, wurde durch Flintenschüsse niedergemacht. An Bord des „Otschakow“ war unterdessen Feuer ausgebrochen und der „Otschakow“ sah sich gezwungen, die weiße Flagge als Zeichen der Ergebung zu hissen. Trotzdem wurde entgegen allen Regeln des Krieges, infolge eines angeblichen „Mißverständnisses“, noch weitere 10 Minuten auf den „Otschakow“ geschossen. Auch die revolutionären Torpedoboote „Nr. 268“ und „Nr. 270“ wurden außer Gefecht gesetzt und auf letzterem der Kapitän Schmidt verhaftet.

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