Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 815

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gemacht hatten, wurden verhaftet und in den Lasarew-Kasernen interniert. Die Inhaftnahme geschah seitens der Patrouillen in der korrektesten Weise und die Behandlung der Verhafteten ließ an Höflichkeit nichts zu wünschen übrig.

Frühmorgens am Dienstag begab sich ein kleiner Dampfer mit einer Deputation der aufständischen Matrosen der Marinekasernen zum Kreuzer „Otschakow“, wo die Deputation mit lautem Hurra begrüßt wurde. „Otschakow“ hißte die rote Flagge. Kurz darauf begab sich die Deputation unter der Leitung von Schmidt und unter dem Schutze des Torpedobootzerstörers „Swirepy“ nach dem Schiffe „Prut“, auf welchem sich die wegen der Juniunruhen 1905 auf den Kriegsschiffen „Potjomkin“[1], „Prut“ und „Georgi Pobedonoszew“ verhafteten Matrosen befanden. Sämtliche Verhaftete wurden, ohne jeden Widerstand seitens der Wache, befreit und unter brausendem Jubel auf den „Otschakow“ gebracht. Als der Dampfer mit den Befreiten am „Potjomkin“ vorüberfuhr, wurde er von der Mannschaft desselben begeistert begrüßt und kurz darauf, gegen 1 Uhr mittags, hißte auch „Potjomkin“ die rote revolutionäre Flagge.

Mittlerweile hatte sich auf den anderen fünf Panzerschlachtschiffen „Rostislaw“, „Tri Swjatitelja“ (Die drei Heiligen), „Dwenadzat Apostolow“ (Die zwölf Apostel), „Sinop“ und „Tschesma“, auf dem Kreuzer „Pamjat Merkurija“ [Merkurs Gedächtnis] und einigen anderen kleineren Schiffen das Folgende zugetragen: Ein Dampfer mit einer Deputation der Marineoffiziere war die Front des ganzen Geschwaders, mit Ausnahme der abseits stehenden Schiffe „Otschakow“ und „Potjomkin“, entlang gefahren und hielt bei jedem Schiff einige Zeit an. Die auf dem Dampfer befindlichen Offiziere teilten den Matrosen mit, daß ein Teil ihrer ökonomischen Forderungen bereits gewährt sei und versprachen, für die Erfüllung der weiteren Forderungen das Möglichste zu tun. Der rückständige und leichtgläubige Teil der Mannschaft nahm die leeren Versprechungen der Offiziere als bare Münze auf, die organisierten Matrosen hingegen befanden sich in der Minderheit und waren nicht imstande, gegen die Masse anzukämpfen. So wurde denn ein Zwiespalt in die Reihen der Matrosen getragen, der auf dem Kriegsschiffe „Rostislaw“ zu einem Handgemenge zwischen der Mannschaft führte. Anfangs wurde auf dem „Rostislaw“ die rote Flagge gehißt, sodann entstand eine Schlägerei, die rote Flagge wurde heruntergeholt und zerrissen und schließlich die patriotische weißblaue Andreasflagge gehißt. Gegen 1 Uhr mittags hatten bereits alle vorerwähnten Schiffe die Andreasflagge gehißt. Unterdessen hatten auch die auf einem Hügel befindlichen weithin sichtbaren Lasarew-Kasernen die rote revolutionäre Flagge entfaltet und es standen nun zwei Parteien einander kampfbereit gegenüber. Den Oberbefehl über das regierungstreue Geschwader führte Admiral Tschuchnin, den Oberbefehl über das revolutionäre Geschwader hatte der auf dem „Otschakow“ befindliche Kapitän Schmidt übernommen.

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[1] Siehe ebenda.