Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 783

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Streik mit dem Jahrestage des Blutsonntags[1] gesichert ist. An diesem Tage werden alle Betriebe auf Wochen hinaus stehen bleiben und der letzte Kampf des Proletariats mit der Regierung stattfinden.

Soldaten-Revolten

Die „Vossische Zeitung“ meldet aus Warschau: Den Mannschaften des hier liegenden Grochow-Regiments wurde anbefohlen, ohne Waffen auf den Kasernenhof zu kommen. Dort wurden sie von Kosaken umringt. Mann für Mann wurde einer Durchsuchung unterzogen. Bei vielen soll der revolutionäre „Soldatskij Listok“ [Das Blatt des Soldaten] gefunden worden sein. Alle diese sind verhaftet worden. – Der Postausstand hat sich nun auch auf die Bahnpost ausgedehnt. Die Postwagen werden den Eisenbahnzügen nicht mehr beigegeben, da es keine Beamten zur Sortierung der Briefe gibt. Diesen Brief nimmt ein Referendar aus Freundlichkeit mit über die Grenze.

Eine „Laffan“[2]-Meldung besagt: Petersburg, 6. Dezember. In der gestrigen Sitzung der Sozialrevolutionären Partei[3] berichteten die aus dem Süden eingetroffenen Emissäre, die dortigen Truppen seien zur Erhebung gegen den Zaren bereit und warteten nur auf ein Zeichen von Petersburg. – Die Stadt Noworossisk befindet sich, hier eingetroffenen Telegrammen zufolge, in den Händen der meuternden Truppen, ebenso die Stadt Katherinodar im Kaukasus, wo die Soldaten das Arsenal besetzten und 16000 Gewehre unter die dortigen Arbeiter und die von Noworossisk verteilten. Eine ähnliche Bewegung ist von neuem in Sewastopol ausgebrochen.

Tokio, 7. Dezember. („Laffan“-Meldung.) Eine Meldung der Zeitung „Asahi“ bestätigt, daß die Stadt Harbin am 30. v. M. in Flammen stand. Die Zufuhren für die russischen Truppen wurden abgeschnitten, die Stadt wird von Chinesen geplündert.

Warschau, 8. Dezember. Aus Łódź wird gemeldet, daß die revolutionäre Bewegung unter den Truppen bedeutend zunehme. Tagtäglich ereignen sich zahlreiche Vergehen gegen die Disziplin.

Ferner liegen folgende Meldungen vor:

Petersburg, 8. Dezember. Die Demission des Justizministers wird in den nächsten Tagen amtlich publiziert werden. Durch seinen Rücktritt wird die Stellung des Kabinetts nicht geschwächt („nicht geschwächt“ ist gut gesagt von einem „Kabinett“ außer Tätigkeit!) Ein Nachfolger des Justizministers ist noch nicht bezeichnet.

Warschau, 8. Dezember. Telegramme aus Petersburg berichten, daß zahlreiche Privatbanken den Finanzminister informiert haben, daß sie gezwungen sind, ihre Geschäfte zu schließen, wenn der Ausstand der Postbeamten noch lange fortdauere.

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[1] Gemeint ist der Beginn der russischen Revolution, als am (9.) 22. Januar 1905 in St. Petersburg 140000 Arbeiter zum Winterpalais mit einer Bittschrift zogen, in der sie den Zaren um die Verbesserung ihrer Lebenslage ersuchen wollten. Die Demonstranten, unter denen sich auch Frauen und Kinder befanden, wurden auf Befehl des Zaren mit Gewehrsalven empfangen, über 1000 Menschen wurden getötet und etwa 5000 verwundet. Dieses Blutvergießen löste eine Welle von Proteststreiks und Bauernunruhen in ganz Rußland aus.

[2] Eine von William MacKay Laffan gegründete Nachrichtenagentur. Der 1848 in Dublin geborene und 1909 in New York verstorbene Laffan war Journalist und u. a. Herausgeber und Eigentümer von „The Sun“.

[3] Die 1901/1902 entstandene Partei der Sozialisten-Revolutionäre (Sozialrevolutionäre) vertrat die Interessen des Kleinbauerntums und hatte die Beseitigung des Zarismus und eine demokratische Republik zum Ziel. Zu ihren Kampfmitteln gehörten terroristische Anschläge. Später spaltete sie sich in einen linken und rechten Flügel.