Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 773

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erste Schritt die Niederlegung der Arbeit, der Ausstand. Aus der Anwendung des Massenstreiks in Rußland könne man lernen; nirgends sei er weniger diskutiert worden als gerade in Rußland. Die russische Revolution habe eben bewiesen, daß der Massenstreik historisch notwendig geworden sei für die Arbeiterklasse, wenn sie sich zur Aktion aufraffe. Auch in Deutschland werde die Zeit kommen, wo der Massenstreik ein unabweisbares Mittel des Kampfes sein werde. Rednerin protestiert dagegen, daß man in gewissen Genossenkreisen sie und andere als Gegner des Parlamentarismus hinstelle. Ob und inwieweit der Parlamentarismus die Form des Kampfes der Arbeiterklasse sei, darüber entschieden nicht wir, sondern die geschichtliche Entwicklung. Aber gerade deswegen könne man ihn nicht als allein seligmachendes Mittel betrachten, wenn er auch unter bestimmten geschichtlichen Voraussetzungen der Arbeiterbewegung die hervorragendsten Dienste leistete. Die Herrschenden wollten es uns ja gerade verwehren, weiter den Kampf auf dem Boden des Parlamentarismus auszufechten, indem sie uns das Mittel entreißen wollten. Nicht die radikalen Marxisten wollten den Parlamentarismus zerstören; vielmehr gehe die sich steigernde und verschärfende Reaktion darauf aus, uns das Mittel zu entreißen. Es trete geradezu der Zwang an uns heran, zu einem anderen Mittel zu greifen. – Lasse sich nun auch ein Massenstreik weder verbieten noch willkürlich herbeiführen, komme es auch immer auf die geschichtliche Situation an, so dürften wir doch nicht im Fatalismus so weit gehen anzunehmen, daß jeder Massenstreik vom Himmel herabfallen werde. Allerdings müsse er, wenn er planmäßig durchgeführt werden solle, das Resultat eines Entschlusses der organisierten Arbeiterschaft sein. Nur die Situation, die den Massenstreik fordert, lasse sich nicht durch Beschluß herbeiführen. Die Hauptsache wäre, daß beim Eintritt der Situation die Sozialdemokratie auf dem Platze und fähig sei, der Masse voranzuschreiten. – Rednerin trat dann verschiedenen der bekannten Einwände entgegen, welche von Gewerkschaftsführern und einzelnen Parteigenossen, zum Beispiel dem Genossen Frohme im „Hamburger Echo“, gegen den politischen Massenstreik erhoben worden sind.[1] Insbesondere wandte sie sich auch dagegen, daß die Gewerkschaften als Selbstzweck betrachtet würden. Nur gegen diese Taktik, nicht gegen die Gewerkschaften selbst seien die Marxisten. Sie hielten sie vielmehr für eine unumgängliche Waffe der Arbeiterschaft. Man dürfe sich aber nicht zum Sklaven seines Werkzeugs der Befreiung degradieren. Nichts sei übrigens so fruchtbringend für die Idee der Organisation, wie ein offener scharfer Klassenkampf. Bei einem Massenstreik in Deutschland würden die gewerkschaftlichen Organisationen gleich den politischen nicht nur nichts zu befürchten haben, sondern würden noch einmal wiedergeboren und zehnfach gestärkt daraus hervorgehen. – Es sei gefragt worden: „Werden die Massen der Unorganisierten uns folgen?“ Auch diese Frage löse sich wie manche andere spielend, wenn man vom Standpunkt der Spintisiererei herab auf den Boden des Massenstreiks als historischer

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[1] Laut Hamburger Echo Nr. 203 vom 30. August 1905 hatte Karl Frohme über das Thema „Generalstreik und politischer Massenstreik“ am 29. August 1905 in einer Mitgliederversammlung der Zahlstelle der Zimmerer referiert. Er lehnte den politischen Massenstreik als ein Mittel des Anarchismus strikt ab.