Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 76

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über uns, dann sind wir auf dem rechten Wege; lobt sie uns, dann haben wir sehr wahrscheinlich einen Fehler gemacht.[1]

Der Umstand, daß die Vereinigung der polnischen sozialistischen Organisation mit der deutschen die polnische Bourgeoisie ärgerte, zeigt am besten, wie sehr diese Vereinigung im Interesse des Proletariats lag. Indem die polnische Bourgeoisie die polnischen und deutschen Sozialisten zu entzweien suchte, konnte sie nur den Zweck verfolgen, den polnischen Sozialismus lahmzulegen. Wenn also die polnischen Sozialisten mit Rücksicht auf die bürgerlichen Hetzereien aus der deutschen Organisation austraten, so haben sie sich einfach von der Bourgeoisie nasführen lassen, ohne im Übrigen auch nur den nächsten Zweck zu erreichen. Der Bourgeoisie machen sie es ja doch nie recht. Solange sie, dem proletarischen Standpunkte getreu, freundschaftliche, solidarische Beziehungen mit der deutschen Sozialdemokratie unterhalten, werden sie die patriotischen Hetzereien nicht los. Wollten sie aber in ihrer bisherigen Taktik verharren, was wären dann die Konsequenzen davon? Sie müßten schließlich den proletarischen Standpunkt verleugnen, um so aus einer gegen die Bourgeoisie kämpfenden zu einer nach der bürgerlichen Pfeife tanzenden Partei zu werden.

Ein Glück für die Sache des Proletariats, daß sich die französischen und deutschen Sozialisten von ihrer respektiven Bourgeoisie nicht zu der Taktik der polnischen Sozialisten haben verleiten lassen, sonst müßten sie einander stets in den Haaren liegen, um ja nur das bürgerliche Geheul über „Landesverrat“ etc. zum Schweigen zu bringen. –

Wir sehen also, die ganze Beweisführung der polnischen Sozialisten schrumpft nach einer flüchtigen Kritik zusammen. Wenn aber die polnischen Sozialisten in Deutschland ihre Sonderorganisation gar als etwas Selbstverständliches, das keiner Begründung bedarf, hinstellen wollen, so bekunden sie dadurch eine ganz verkehrte Auffassung von den Bedingungen des proletarischen Klassenkampfes. Der Kampf der Arbeiterklasse ist vor allem ein politischer Kampf. Die gemeinsamen politischen Institutionen, unter denen die Arbeiter leben und leiden, das gemeinsame staatliche Gebiet sind es, die über die Parteizusammengehörigkeit der Sozialisten entscheiden. Die nationalen Verschiedenheiten können dabei keine Scheidewand bilden, da dieselben die Klassenlage des Proletariats nur in ganz unerheblichem Maße beeinflussen. Und überhaupt schaffen die etwaigen besonderen Bestrebungen verschiedener Gruppen des Proletariats auf demselben Staatsgebiet keine Grundlage für besondere sozialistische Parteien. Im Gegenteil, nur durch eine gemeinsame politische Organisation, die alle Kräfte des Proletariats im Staate zum einheitlichen, gemeinsamen politischen Kampfe vereinigt, können die besonderen berechtigten Bestrebungen der verschiedenen Teile des Proletariats auf Verwirklichung rechnen.

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[1] Überliefert ist, daß Bebel schon Anfang der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts in Zürich diesen Ausspruch getan hatte und später immer wieder darauf zurückkam. Siehe z. B. seine Äußerung auf dem Dresdener Parteitag 1903. In: August Bebel: Ausgewählte Reden und Schriften, Band 7/2. Reden und Schriften 1899 bis 1905. Bearbeitet von Anneliese Beske und Eckhard Müller, München 1997, S. 445.