Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 751

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schon erobert zu haben. Schmidt schickte zwei Parlamentäre mit der weißen Flagge zum Admiral Tschuchnin, um ihn aufzufordern, sich zu ergeben. Tschuchnin ließ die beiden Abgesandten der Revolutionäre verhaften (!) und eröffnete seinerseits das Feuer gegen die Meuterer. Durch zwei Stunden, von halb vier bis halb sechs, währte eine regelrechte Schlacht, welche zu Lande sowie zur See geführt wurde. Während die zehn Kriegsschiffe unter Schmidts Kommando die Stadt bombardierten, kamen die revolutionären Matrosen und Truppen aus den Lazarew-Kasernen, wo sie sich verbarrikadiert hatten, um die Stadt von der Landseite anzugreifen.

Der Artilleriekampf richtete auf beiden Seiten Verheerungen an. Die Geschosse von den Kriegsschiffen der Meuterer fielen in die Stadt, zerstörten viele Häuser und töteten zahlreiche Personen auf den Straßen. Die Einwohner flüchteten in die Keller und andere sichere Verstecke. Die Meuterer schienen auf die öffentlichen Gebäude zu zielen, denn die Marineämter wurden am meisten beschädigt. Auch mehrere Kirchen wurden vollständig demoliert, wahrscheinlich, da ihre Türme ein leichtes Ziel boten.

Andererseits beschossen die südlichen Forts, von der sogenannten Küstenartillerie unterstützt, die revolutionäre Flotte mit gutem Erfolg. Der Kreuzer „Otschakow“, welcher sich den Meuterern angeschlossen hatte, wurde an einigen Stellen unter der Wasserlinie getroffen und fing an zu brennen.

Nach einer Depesche der „Publishers Press“ aus Odessa sank das Schiff bald nach Schluß des Kampfes. Das Kriegsschiff „Dnepr“ und ein Torpedoboot wurden ebenfalls von zahlreichen Geschossen getroffen und sanken nach einer Stunde. Das Schlachtschiff „Panteleimon“ (früher „Potjomkin“) wurde arg beschädigt.

Schmidt selbst erhielt eine tödliche Wunde und ergab sich mit seinen Schiffen um ½6 Uhr abends.[1]

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[1] Am 10. März 1906 brachte der Vorwärts in seiner Nr. 58 zwei Spalten detaillierte Aufzeichnungen des zum Tode verurteilten Leutnant Schmidt, die er während seiner Gefangenschaft in den Kasematten der Festung Otschakow geschrieben hatte. Darunter vermerkte die Redaktion: „Nach dieser Selbstcharakteristik erscheint Leutnant Schmidt mehr als ideal angelegter Schwärmer, denn als kühl denkender und entschlossener Mann der Tat.“ Aus seinem Blute werden Rächer erstehen, „die einem bestialischen Gegner gegenüber keinerlei falsche Sentimentalität mehr kennen“. In Nr. 67 vom 21. März 1906 übernahm der „Vorwärts“ die Meldung aus dem „Tag“ [Den] über die Hinrichtung: „Leutnant Schmidt sowie die Matrosen Tschastnikow, Gladkow und Antonenko wurden um 4 Uhr morgens erschossen, und zwar durch 60 Matrosen des Kanonenbootes ‚Teretz‘, deren Rücken auf alle Fälle durch einen Zug Infanterie gedeckt war. Schmidt war sehr gefaßt, er bat seinen Verteidiger, durchaus festzustellen, daß er niemals zu schießen befohlen, mithin kein Menschenleben auf dem Gewissen habe. Seine letzten Stunden verbrachte er mit dem Schreiben von Briefen an seine Schwester, Frau Isbach, und an seine Söhne. Die Exekution wurde auf der Insel Beresan vollzogen, während die Dämmerung bereits anbrach. Schmidt eilte schnell zum Orte der Exekution und bat, man möge ihm keine Kappe über das Gesicht ziehen, auch seine Hände nicht an den Pfahl anbinden. Dann nahm er rührenden Abschied von den Matrosen und Soldaten und rief laut: ‚Lebt wohl! Gebt Feuer!‘ Schmidt fiel erst bei der dritten Salve. Die Leichname der vier Erschossenen wurden sofort in bereit gehaltene Särge gelegt und an Ort und Stelle verscharrt.“