Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 680

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gedient hat, uns groß und stark zu machen, er versagt nun immer mehr und mehr, und die historische Entwicklung wird neue Formen schaffen, die darauf gerichtet sind, daß die Massen selbst anfangen werden zu versuchen, direkt mit dem Feinde von Angesicht zu Angesicht zu kämpfen.

Wie sie merken, ist schon die erste prinzipielle Frage bei dem Massenstreik eine ganz andere, d. h. wenn sie sich auf den historischen Boden stellen.

Weiter müssen wir einen Blick auf die innere und auswärtige Politik werfen. Das ist eine große Frage, die wir dabei zu berücksichtigen haben, und wir springen vom ersten Augenblick an mit beiden Füßen bei dieser Frage, wie bei allen anderen Fragen des Prinzips und der Taktik, auf den historischen Boden der Entwicklung. Tun wir also einen kurzen Blick auf den Gang der historischen politischen Entwicklung in der letzten Zeit, und zwar die auswärtige Politik, die Weltpolitik.

Rednerin ging zunächst kurz auf den Russisch-Japanischen Krieg ein, er sei nur ein Glied in der Kette von den Ereignissen der letzten 10 Jahre. Seit 1895 hätten wir im Fernen Osten eine Reihe von blutigen Kriegen erlebt, sie erinnere an den Krieg mit China, wo Deutschland mit dem Stab in der Hand vorausgegangen sei. Seit den 90er Jahren drehe sich das Interesse um den Bosporus, Konstantinopel, China und Zypern. Daß man ja nicht denke, daß uns in Deutschland diese Dinge vorläufig noch nichts angingen, der irre sich, denn sie erinnere an die Pachtung in China.[1] Wir seien nicht mehr die Zuschauer. Aus allen diesen Dingen ergebe sich nichts anderes, als neue Flottenvorlagen, verbunden mit neuen Steuern und Abgaben, Mehrbelastung für die Arbeiterklasse. Die wirtschaftlichen Kämpfe würden nicht verringert, sondern vermehrt werden.

Rednerin kommt sodann auf die Revolution in Rußland zu sprechen. Es ist eine ständige und beliebte Redensart, leider Gottes auch in unseren Reihen, Rußland sei der Grog der Revolutionen. Die russische Revolution ist als Fleisch von unserem Fleische zu betrachten, und ich vermisse in unserem Parteiverhältnis das Mitfühlen, das Mitzerrinnen, das Mitdenken. Rednerin geht kurz auf die früheren politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse Rußlands ein und vergleicht die ganze Bewegung immer mit der geschichtlichen Entwicklung. Gar mancher Genosse denkt sich, daß die Revolution als Sieger davon geht und, wie wir es in Deutschland erlebt haben, schafft man sich einen bürgerlichen Parlamentarismus, an dem sie wohl teilnehmen, weil sie müssen, ohne zu vergessen, daß damit eine historische Tretmühle geschaffen wird. Nein, in Rußland kommt bereits die politische Freiheit zum Vorschein, allerdings heute oder morgen ist die Revolution noch nicht beendet, sie wird wohl noch recht lange dauern. Sie hat aber schon die Lehre gebracht, welche Richtung wir gehen müssen, und die russische Revolution hat bereits ihren Feuerschein auf andere Länder geworfen.

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[1] Am 14. November 1897 hatte Deutschland das Gebiet von Kiautschou annektiert. In einem Abkommen vom 6. März 1898 war die chinesische Regierung gezwungen worden, die Bucht von Kiautschou auf 99 Jahre an das Deutsche Reich als Flottenstützpunkt zu verpachten und ihm das Hinterland Schantung zuzugestehen.