Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 635

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Militärmacht Asiens ist durch ihn in den Vordergrund geschoben worden und hat wesentlichen Anteil an dem Sturz des russischen Absolutismus. Seit dem Jahre 1895, wo Japan um die Früchte seines Sieges betrogen wurde,[1] trat eine innere größere Verschärfung der Großmächte in Ostasien ein. Bis dahin war der internationale politische Brennpunkt am Bosporus. Seit 1895 aber lenken sich alle Blicke nach Ostasien. Das beweist, daß die alte Weltpolitik und Weltwirtschaft, wie es Marx nannte, über die Grenzen Europas hinaus getreten und der Brennpunkt nach Ostasien verlegt worden ist.

Hat Jaurès seine Friedenspropaganda auf die zunehmende Einsicht der Völker gegründet, weil seit 30 Jahren in Europa Frieden herrsche, so zeigt ein Blick auf die politische Weltlage, die zunehmende Schärfe der Großmächte gegeneinander, und die wahnsinnigen Rüstungen, wie falsch und kurzsichtig die Jaurès’sche Politik und Anschauung ist. Der Russisch-Japanische Krieg hat gezeigt, daß er nicht das Ende der Kriegskämpfe darstellt, sondern nur den Anfang von neuen. Japan wird wegen seiner Siege und Vormachtstellung ein Gegenstand heftigster Angriffe der alten Mächte sein, bei dem wir, wie die Befestigungen Kiautschous zeigen,[2] nicht mehr bloß Zuschauer, sondern Teilnehmer sein werden. Das bewirkt nun aber wieder das Wachsen der Rüstungen zu Wasser und zu Lande, und bei der inneren Politik neue Zölle und Steuern, schafft einen Zustand der permanenten Hungersnot, wie sie jetzt schon in einigen Gegenden Deutschlands besteht. Diese hungernden Schichten der Bevölkerung, die sich nur von Pilzen nähren müssen, zeigen uns den ungeheuren Abstand von der Lebenslage der Kapitalisten und den Nutznießern des Kapitals.

Die beiden Wetterwinkel: das Ruhrrevier und die sächsisch-thüringische Textilindustrie[3] mit ihren hungernden, maßlos ausgebeuteten Proletariern, die an die ersten Pioniere des Klassenkampfes: die Seidenweber in Lyon[4] erinnern, zeigen uns, wie die

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[1] Mit dem Frieden von Shimonoseki am 17. April 1895 war der Chinesisch-Japanische Krieg um die Vorherrschaft in Korea zugunsten Japans beendet und China gezwungen worden, die Gebietsforderungen Japans anzuerkennen. Damit begann die Phase der Aufteilung Chinas in Einflußsphären der imperialistischen Mächte.

[2] Am 14. November 1897 hatte Deutschland das Gebiet von Kiautschou annektiert. In einem Abkommen vom 6. März 1898 war die chinesische Regierung gezwungen worden, die Bucht von Kiautschou auf 99 Jahre an das Deutsche Reich als Flottenstützpunkt zu verpachten und ihm das Hinterland Schantung zuzugestehen.

[3] Gemeint ist der Bergarbeiterstreik im Ruhrgebiet vom 7. Januar bis 19. Februar 1905 von rund 215000 Bergarbeitern. Sie forderten die Achtstundenschicht, höhere Löhne, Garantien für die Grubensicherheit und die Beseitigung aller Schikanen wegen politischer Tätigkeit. – Ein Streik und Aussperrungen von 36000 Textil- und Färbereiarbeitern in Gera, Glauchau, Greiz, Meerane u. a. Orten im Kampf um höhere Löhne fand vom 20. Oktober bis 28. November 1905 statt. Er wurde vom Vorstand des Textilarbeiterverbandes abgebrochen, ohne daß Ergebnisse erzielt worden waren.

[4] Die Seidenweber von Lyon hatten sich unter Führung französischer proletarischer Geheimorganisationen im April 1834 für die Beseitigung von Not und Elend und für die Errichtung einer sozialen Republik erhoben. Pariser Arbeiter waren ihrem Beispiel gefolgt. Nach heftigen Barrikadenkämpfen unterlagen die Aufständischen der militärischen Übermacht.