Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 531

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Daher vor allem die erfreuliche Erscheinung, daß die rigorosen Statutenbestimmungen in bezug auf die Parteikontrolle über die Fraktion und die Presse, Bestimmungen, wie man sie in dieser Strenge anderwärts nicht findet, in der Einigungskommission nicht etwa zwischen den zwei großen Sonderorganisationen, der PSdF und der PSF debattiert wurden, sondern nur zwischen der Rechtsminderheit der PSF und allen übrigen Vertretern. In jenen Statutenbestimmungen, die dann auf dem Parteitag ohne nennenswerten Widerstand votiert wurden, verkörpert sich eben nicht nur der Standpunkt der PSdF und der Allemanisten, sie bedeuten auch den siegreichen Abschluß der mehrjährigen Kämpfe des linken Flügels der PSF selbst wider die Selbstherrlichkeit der Fraktion. Den rigorosen Statuten fehlt somit jener gefährliche Stachel, der in einem Siege der einen Sonderorganisation über die andere enthalten wäre.

Zudem sind die alten Sonderorganisationen, die nach der Einigung von 1899 unmöglich aufgelöst werden konnten, nunmehr nicht nur statutenmäßig beseitigt worden. Ihre formelle Auflösung ist vielmehr der Ausdruck der Überwindung derjenigen entscheidenden Gegensätze, die sich in den Sonderorganisationen einseitig kristallisiert haben. Es wäre kindisch-naiv zu meinen, daß in der neuen Partei fortan das reine Schäferidyll herrschen werde. Das wäre ein Traum und nicht einmal ein schöner. Wer Partei sagt – Partei und nicht Sekte! –, der sagt damit zugleich, daß im Rahmen des Parteiganzen verschiedene Auffassungen, verschiedene Strömungen und Unterströmungen wirken und im Kampfe der Meinungen sich messen. Diesem unvermeidlichen und wünschenswerten Meinungskampf tragen die Statuten der Einheitspartei einsichtig Rechnung, indem sie „die vollständige Diskussionsfreiheit in der Presse in bezug auf alle theoretischen und praktischen Fragen“ ausdrücklich proklamieren. Mit einem Wort, es stände um die Einigung sehr schlimm, wenn sie an das Verschwinden jeglicher Gegensätze geknüpft wäre. Was vielmehr in Wirklichkeit ihre normale Fortentwicklung, ihre Dauerhaftigkeit verbürgt, das ist die Auflösung der alten Gegensätze, die durch die Scheidungslinie der alten Sonderorganisationen von einander abgegrenzt waren. Und die Verwischung der alten Scheidungslinie konnte man schon deutlich an den drei Kongreßtagen wahrnehmen.

Endlich ist unter den dauernden Einigungsfaktoren nicht an letzter Stelle das französische Gewerkschaftsproblem hervorzuheben. Die Erstarkung der revolutionär-nurgewerkschaftlichen Strömung, eine Folge des Ministerialismus, geschah auf Kosten aller sozialistischen Richtungen. Nur die auf proletarischer Grundlage geeinigte Partei kann gegen diese bedrohliche Entwicklung ankämpfen. Dieses Moment ist allen Teilen der Einheitspartei zu einer klaren Bewußtseinstatsache geworden. Alle Teile streben nach einer intimen Annäherung mit der „Konföderation der Arbeit“, der gewerkschaftlichen Einheitsorganisation des Proletariats. Dieses gemeinsame Streben bildet aber ein neues Bindungsmittel für die verschiedenartigen Bestandteile der Partei. Andererseits aber gehen die Meinungen über das Verhältnis zwischen Partei und Gewerkschaft auseinander. Und dieser neue Gegensatz wird in derselben parteieinigenden

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