Deutschland schreite mit seinen Militärrüstungen so wahnsinnig weiter, wie kein anderes Land. Wenn von dem Gelde auch die Hunger-Lehrer in Preußen gespeist würden. Die Ausgabe für Kolonialpolitik, Militär u. Marine habe in einem Jahre eine Milliarde betragen. Seit 1872 sei ein Bevölkerungszuwachs von 30 Prozent zu verzeichnen, während die Zunahme von Militär 70 Prozent betrage.
Indirekte Steuern zahlten am meisten die arbeitende Bevölkerung, so koste zum Beisp. ein Pfund Salz koste [sic!].
Im Deutschen Reiche würde überhaupt eine merkwürdige Finanzwirtschaft getrieben. Erst gebe man aus, dann schaue man sich nach den Einnahmen um. Zur Regierungszeit Kaiser Wilhelms I. haben die Reichsschulden 721 Millionen Mark, die dafür aufzubringenden Zinsen 25 Millionen M betragen, während nun unter der Regierungszeit Kaiser Wilhelms II. die Reichsschulden auf 2½ Milliarden M u. die dafür aufzubringenden Zinsen auf 93 Millionen M gestiegen sind. Anläßlich der stattfindenden gegenseitigen Besuche der Souveräne würden von ihnen Toaste gehalten, die von lauter Friedensliebe schwärmten. Und kämen die Souveräne wieder von dem Besuche zurück, so wäre die nächste Arbeit der Plan der Vermehrung des Militärs u. der Flotte. Wozu denn das viele Militär u. die spielenden Fahrzeuge auf dem Wasser? Habe doch Bismarck hinsichtlich der Kolonialpolitik selbst gesagt: Die Knochen eines pommerschen Grenadiers seien ihm lieber als die Kolonialpolitik.[1] Was bringe denn letztere ein?
Es fordere zum Beisp[iel] die | ||
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ostafrikanische Kolonie: | 8700000 M Ausgab[en] u. bringe | 3000000 Einnahmen |
Kamerun: | 3600000 M · –· | 2000000 · –· |
Westafrika: | 8400000 M · –· | 2000000 · –· |
Die Afrikanische Kolonie erfordere allein an Reichszuschuß 15,000,000 M. Kiautschou erfordere einen Reichszuschuß von 40,000,000 M. Wenn ein Privatmann eine solche Finanzwirtschaft betreiben würde, den würde die zuständige Stelle bei Zeiten beim Kragen fassen u. ihm sagen: Sie sind wohl verrückt? In die Kolonien würde nur viel Wein für die Offiziere, viel Bier für die Unterbeamten u. Tinte zum unnützen Beschreiben des Papiers geführt. Desweiteren kritisierte die Rednerin in bekannter sozialistischer Weise den Chinakrieg, die Vergehen in den Kolonialländern, die Behandlung des von Arenberg im Gefängnisse etc. Sie kam auch auf die Kaiserrede in
[1] Bismarck hatte am 5. Dezember 1876 im Reichstag erklärt: „Ich werde zu irgendwelcher aktiven Beteiligung Deutschlands an diesen Dingen [Den Einfluß im Orient betreffend.] nicht raten, solange ich in dem Ganzen für Deutschland kein Interesse sehe, welches auch nur – entschuldigen Sie die Derbheit des Ausdrucks – die gesunden Knochen eines einzigen pommerschen Musketiers Wert wäre.“ Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, II. Legislaturperiode, IV. Session. Erster Band, Berlin 1976, S. 585.