Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 482

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ablösen müssen. Der Name des Herrschers (Tonnai) macht schon die Bewohner erzittern. Es ist dies keineswegs eine Ausnahme. Es ist fast eine Regel für die Vertreter der Staaten in den wilden Gegenden geworden, das Volk möglichst zu drücken. Der Deutsche wird sagen, es kann das vielleicht in anderen Ländern der Fall sein, bei uns geht es jedoch anders zu. Doch ist dies nicht der Fall. Wir wissen, wie Prosper Arenberg, der jetzt hinter Schloß und Riegel sitzt, aus plötzlichen Gelüsten einen armen Neger höchst eigenhändig niedergeschossen hat. Doch wie erging es diesem hochgeborenen Herrn, auf dessen Verbrechen eigentlich Todesstrafe steht? Zuerst wurde er zu Zuchthaus, dann zu Gefängnis verurteilt, jetzt aber erfahren wir, daß es ihm im Gefängnis weit besser ergangen ist als in der Freiheit. Der edle Herr brauchte nicht einmal seine Weiber zu entbehren! Doch auch diese Strafe ist für den edlen Jüngling zu schwer, er will seine Weiber in der Freiheit genießen. So wurde er dann für das Irrenhaus fähig erklärt, und [nun] wird ihn die deutsche Rechtsgewalt gar bald entlassen. Dies ist für eine Klage eine sehr erwünschte Gelegenheit. Was ist der ganze Nutzen der Kolonien für den deutschen Arbeiter? Weiter nichts, als die Steuern erhöhen zu können und die Unsittlichkeit mehr zu vermitteln, die die zivilisierte Welt mit Schmutz, mit Schmach und mit Kot bewirft!

Die Kolonien sind zu weiter nichts als für die Söhnchen der höheren Edelleute, die sich dort an die Spitze der ganzen Bevölkerung stellen.

Wir wissen, was die Erhöhung der Zölle für den reichen Landbesitzer für Vorteile hat. Wir wissen, daß die großen Eisenindustriellen und die Kaufleute dadurch Millionen zu erwarten haben, während der arme Arbeiter zuzusetzen hat.

Was ist bis jetzt an Liebesgaben an die Arbeiterschaft Deutschlands gezahlt worden? Deutschland soll ja das einzige Land sein, in welchem die Arbeitergesetzgebung eine geordnete ist. Der deutsche Kaiser habe in Breslau gesagt, daß in Deutschland der Arbeiter bis in das hohe Alter hinein eine gesicherte Existenz habe.[1] Die hohe Versicherung, die uns Bismarck beschert hat,[2] liegt in einer Steuer, die doch größtenteils dem Staat zufließt. Für den Arbeiter wäre es jedoch besser, wenn er sich bis in das hohe Alter selbst ernähren könnte, denn er bekommt dann wenigstens das, was er durch seiner Hände Arbeit verdient hat.

Wenn ihm dieses Glück aber nicht beschieden ist, so ist er auf die Rente angewiesen und bekommt auf sein hohes Alter mit Weib und Kind 33½ Reichspfennig täg

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[1] Gemeint ist die Kaiserrede auf dem Breslauer Bahnhof am 5. Dezember 1902, die er vor einer 15köpfigen Abordnung der Arbeiter aus den Waggonfabriken und Maschinenbauanstalten Breslaus gehalten und in der er gesagte hatte: „Ihr dürft freudig an eure Brust schlagen und eurer Arbeit und euers Standes froh sein. Durch die herrliche Botschaft des großen Kaisers Wilhelm des Ersten eingeleitet, ist von Mir die soziale Gesetzgebung weitergeführt, durch die für die Arbeiter eine gesicherte und gute Existenzbedingung geschaffen worden ist bis ins Alter hinein unter Auferlegung von oft bedeutenden Opfern für die Arbeitgeber. Und unser Deutschland ist das einzige Land, in dem diese Gesetzgebung bereits in hohem Maße zum Wohle der arbeitenden Klassen fortentwickelt ist.“

[2] Siehe S. 352, Fußnote 4.