Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 481

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Seit dem Jahre 1872 ist die Zahl der Bewohner Deutschlands um 38 Prozent gestiegen, die Soldaten sind während dieser Zeit aber um 70 Prozent vermehrt worden. Das bedeutet, daß wir in den dreißig Jahren einen neuen Bürger und zwei Soldaten und Pickelhauben bekommen haben. Es werden immer mehr in den sogenannten Rock des Königs gesteckt, und [wir] werden bald dahin kommen, daß jeder dritte Mann im bunten Rock und die beiden anderen ohne Rock und Hose herumlaufen.

Wir können uns die Frage vorlegen, wozu die ewige Vergrößerung des Heeres eigentlich getrieben wird? Man wird uns antworten, daß wir das große Heer zur Grenzbewachung und Sicherheit des Volkes brauchen. Im vorigen Jahre ist unter den herrschenden Fürsten eine förmliche Wut zum Reisen gewesen. Sie machten einander Besuche und konnten dies ja auch, denn das Volk muß ja ihre Reisen bezahlen. Diese Herren toasteten beständig miteinander, und man muß bei der unendlichen brüderlichen Liebe und den schönen Liebesreden, welche gehalten wurden, sich wundern, wie unter diesen Umständen je noch ein Krieg möglich ist. Doch kaum sind diese Herren zu Hause, so müssen schnell Soldaten vermehrt werden; denn dieser oder jener Lump bedroht unsere Grenzen.

Zweitens werden die Bedürfnisse des Kolonialbesitzes genannt. Es ist ja seit Jahrzehnten Mode geworden, daß jeder Staat, der als ein anständiger gelten will, Kolonien haben muß. Was haben wir, die deutsche Arbeiterklasse, für einen Profit an diesen Sand- und Steinwüsten? Krupp, Stumm und die Panzerplattenfabrikanten, die werden nicht geschädigt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß, wo Kolonialkriege geführt werden, auch viele Millionen für die großen Eisenindustriellen und Schiffswerften abfallen, die sowieso schon große Einkommen haben.

Wir wissen, daß die Kolonien ein Tummelplatz sind für Fürsten und Edelinge, die in Europa nichts anzufangen haben und in den Kolonien als echte Vertreter der europäischen Zivilisation ihren Gelüsten ganz freien Lauf lassen können. Wir wissen, wie die Belgier wirtschaften. Bei den geringsten Vergehen haben sie die armen Neger in Stroh eingewickelt, mit Petroleum begossen und so verbrannt. Und die Regierung des hochbetagten Herrn Leopold war nicht imstande, dem abzuhelfen. Wie seine Vertreter in Java wüteten, daß sie einfach Geiseln genommen haben und dieselben solange gezüchtigt haben, bis der von der belgischen Regierung verlangte Tribut gezahlt wurde, ist unerhört! Wie die Franzosen in ihren Kolonien wirtschafteten, hat ein französischer Schriftsteller, der selbst nach Ostindien gefahren ist, um sich an Ort und Stelle von diesen Zuständen zu überzeugen, uns mitgeteilt. Dieser gibt uns an, daß die Einwohner dort sehr bedrückt werden. Der Oberst Tonnai habe sich sogar einen Harem von 124 Weibern geleistet, die ihm die Häuptlinge des Landes zur Verfügung stellen mußten. Er hat selbst erklärt, daß es unter 124 Weibern nicht geht. Es gibt dort noch keine elektrische Ventilation, und er könne ohne Luftzug nicht schlafen. Diese Haremsmädchen haben nun die Aufgabe, unausgesetzt ihm Luft zuzufächeln; sie sind in Kolonnen eingeteilt, die sich während der ganzen Nacht

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