Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 469

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Es geht um so weniger an, mit dem Namen „Gruppe“ etwa die gesamten organisierten Genossen Posens wie Oberschlesiens als eine quantité négligeable hinzustellen, als es sich hier jedenfalls um die stärkste polnische Organisation handelt. In der Stadt Posen allein haben wir doch bekanntlich 4500 gewerkschaftlich organisierte Genossen, politisch zwar bedeutend weniger, doch immerhin genau zwei Mal soviel, wie auf dem polnischen Parteitag angegeben wurde. Hingegen vertraten die drei „Delegierten aus Posen“, wie wir alle wissen, doch nur sich selbst. Sollte diese merkwürdige „Delegation“ aus Posen, sowie die beleidigende Art und Weise, in der von den Posener und oberschlesischen Genossen referiert wurde, Zwietracht in die Reihen der polnischen Genossen tragen, dann liegt hier wiederum ein bedauerlicher Kontrast zu den auf dem Parteitag im Munde geführten Einigungswünschen vor.

Die Hauptsache liegt aber in den gefaßten Beschlüssen selbst. Zunächst sind in den auf dem Parteitag als Basis der Einigung akzeptierten Leitsätzen zwei wichtige Fortlassungen gegenüber den auf der Einigungskonferenz am 19. Oktober vom Parteivorstand vorgelegten und mit einigen Zusätzen akzeptierten Leitsätzen bemerkbar.

Diese enthielten erstens in bezug auf die Presse die folgende Bestimmung:

„Errichtung einer Preßkommission, in die ein Vertrauensmann des (deutschen) Parteivorstands delegiert wird.“

Und weiter: „Die dem deutschen Parteivorstand aus § 15 des deutschen Organisationsstatuts zustehenden Rechte (die prinzipielle Haltung der Parteiorgane zu kontrollieren) bleiben unberührt.“[1]

Die Bedeutung der allseitigen Annahme dieser Punkte auf der Konferenz liegt auf der Hand. Durch die Kontrolle des Vorstandes sollte gerade vorgebeugt werden, daß die „Gazeta Robonicza“ etwa in der nationalistischen Richtung fortfährt, die zu den bedauerlichen Mißhelligkeiten geführt hat. Diese beiden Bestimmungen sind nun aus den Leitsätzen einfach fortgelassen. Zwar hat der polnische Parteitag später in eigenmächtiger Änderung des polnischen Organisationsstatuts eine Preßkommission gewählt, „der – wie der Bericht im ‚Vorwärts‘ sagt – ein Vertrauensmann der deutschen Parteileitung beitritt“. Da aber dies nicht, wie vereinbart war, als allseitig anerkannte Grundlage der Einigung, sondern als einseitiger Beschluß des polnischen Parteitags figuriert, da die vorbehaltene oberste Kontrolle des Parteivorstandes auf Grund des § 15 des deutschen Parteistatuts verschwiegen worden ist, so verliert auch diese Bestimmung ihre eigentliche Bedeutung.

Die zweite Fortlassung bezieht sich auf den Punkt Reichstagskandidaturen. Die auf dem polnischen Parteitage verlesenen Leitsätze erwähnen bloß die Bestimmung, wonach in Kreisen mit überwiegender polnischer Bevölkerung in der Regel nur Kandidaten aufgestellt werden, die deutsch und polnisch sprechen, „wenn solche Genossen vorhanden sind“. Daraus könnte gefolgert werden, daß nur das physische Vorhanden

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[1] Drucksache des Vorstandes der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. In: LAB, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 9484, Bl. 13.