Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 468

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tion. Das hat der Parteivorstand mehrmals offiziell konstatiert. So z. B. in seinem Bericht zum Lübecker Parteitag. So hat auch Genosse Bebel auf dem letzten Parteitag in München gesagt: „…und die Dinge haben einen Charakter angenommen, daß wir leider genötigt waren, das Tischtuch zwischen ihnen und uns zu zerschneiden. Wir haben namentlich in bezug auf die ‚Gazeta Robotnicza‘ uns gesagt, daß in diesem Blatte die sozialdemokratischen Tendenzen immer mehr zurücktreten. … Wir mußten uns sagen, daß insbesondere die Art und Weise der nationalen Propaganda, wie sie in der ‚Gazeta Robotnicza‘ betrieben wurde, uns eines Tages eine solche Verantwortung gegen eine dritte Seite auferlegen könnte, daß wir diese Verantwortung nicht mehr tragen könnten. … Die polnischen Genossen hätten alles tun müssen, um mit uns in Eintracht zu leben und zu handeln. Das ist leider nicht von jener Seite geschehen, wie es hätte geschehen müssen.“[1]

Nach dieser wiederholten Darstellung der Dinge von so maßgebender Seite ist es einfach unbegreiflich, wie auf dem Parteitag der polnisch-sozialistischen Gruppe wieder die Genossen Winter und andere attackiert werden konnten, um so mehr, da sich doch jene Gruppe gerade verpflichten sollte, die Reichstagskandidatur des Genossen Winter nach Kräften zu unterstützen.

Ferner wurde auf dem Parteitag ein schiefes Bild der Tatsachen gegeben, indem, laut dem Bericht, gesagt wurde: „Zu dem Parteitage wollte auch die Gruppe Luxemburg Vertreter entsenden, auf Betreiben des polnisch-sozialistischen Parteivorstandes, dessen Beweggründe auch der deutsche Parteivorstand anerkannt hat, ist in letzter Stunde davon Abstand genommen.“

Die Sache verhält sich einfach so, daß die zur Gesamtpartei gehörigen polnischen Genossen von Posen und Oberschlesien erklärten, sie würden die Beschlüsse des polnischen Parteitags, den dort gewählten polnischen Vorstand usw. nicht anerkennen, falls sie an den Beratungen und Beschlüssen nicht teilnehmen.

Da jedoch die Sonderorganisation erst als solche zu der Einigungsfrage Stellung nehmen wollte, so ist man dahin übereingekommen, daß ihre Beschlüsse auch nur auf diese Frage sich beschränken und rein provisorischen Charakter tragen sollten. Indem der Parteitag verschiedene Beschlüsse organisatorischer und grundsätzlicher Natur gefaßt hat und dabei nicht einmal ihr provisorischer Charakter hervorgehoben wurde, hat der Parteitag einfach gegen die Vereinbarung gehandelt. Die Sache wird gewiß dadurch nicht besser, daß sie auch noch mit spitzen und beleidigenden Bemerkungen gegenüber den in Treu und Glauben handelnden Genossen in Posen und Oberschlesien verbrämt wurde. Eine „Gruppe Luxemburg“ gibt es nicht, es gibt nur Genossen polnischer Zunge, die auf dem Boden der Sozialdemokratie Deutschlands stehen, es kann also höchstens von einer „Gruppe“ der deutschen Sozialdemokratie geredet werden.

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[1] Parteitagsprotokoll München 1902, S. 152 unf 153.