Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 461

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eine Stütze, eine Dienerin und ein Instrument des Monarchismus. In diesem Sinne besitzt sie keine unabhängigen politischen Interessen. Im übrigen hat die Monarchie, die ihre Macht aus der gleichen Quelle schöpft wie die Kirche – wie diese ist sie „gottgegeben“ –, weniger Schwierigkeiten, die Kirche kurzzuhalten, wenn sie sie am öffentlichen Leben teilnehmen läßt.

Obwohl sich der protestantische Klerus im allgemeinen folgsam und verbindlich verhält, hat vor einigen Jahren der deutsche Kaiser bei einem an sich belanglosen Anlaß lautstark betont, er könne einen Klerus, der Politik betreibe, nicht unterstützen…[1]

In Italien erleben wir einen Kampf zwischen dem Quirinal und dem Vatikan, der dem soeben Dargestellten zu widersprechen scheint. Doch kann gerade hier nicht von einer Rivalität zwischen Monarchie und Kirche gesprochen werden, es geht um eine Rivalität zwischen zwei weltlichen Herrschern, der eine herrschend, der andere enteignet. Rußland bietet uns ein herausragendes Beispiel, das uns zeigt, wie sehr eine Kirche mit einem einheitlichen Ritus in der gesamten Monarchie die treu ergebene Unterstützung der öffentlichen Befehlsgewalt findet.[2]

Aus den gleichen Gründen ist im republikanischen Frankreich eine im Rang eines öffentlichen Organs stehende Kirche zunächst ein Element der Auflösung. Die Kirche ist ein natürlicher Gegner der fundamentalen Grundsätze der Republik: vor allem der Ernennung aller Autoritäten des Staates durch die Volkssouveränität in einer Wahl. Den bürgerlichen Mächten, von ausschließlich weltlicher Herkunft und getragen von ihrem eigenen Geist und persönlichen Beziehungen, steht die Kirche fremd gegenüber. Ihre Bindung an die Aristokratie festigt ihren feudalen Charakter, die Kirche ist das Relikt einer monarchistischen Vergangenheit. Aus all diesen Gründen neigt in der bürgerlichen Republik die katholische Kirche zur politischen Unabhängigkeit und stellt sich gegen die Republik.

Durch die Geschichte der bürgerlichen Republik in Frankreich zieht sich der Kampf gegen den Klerikalismus wie ein roter Faden. Während sich die Kirche Stück für Stück der Schule bemächtigt, um sich hierdurch eine Waffe gegen die Republik zu schaffen, müht sich die Republik in ohnmächtigen Versuchen, die Aufsässigen zu zähmen; immer wieder brechen Krisen aus und erschüttern die Republik.

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[1] Das Telegramm Kaiser Wilhelms II. an den Geheimrat Hinzpeter vom 28. Februar 1896 lautete: „Stoecker hat geendet, wie ich es vor Jahren vorausgesagt habe. Politische Pastoren sind ein Unding. Wer Christ ist, der ist auch sozial, christlich-sozial ist Unsinn und führt zu Selbstüberhebung und Unduldsamkeit, beides dem Christentum schnurstracks zuwiderlaufend. Die Herren Pastoren sollen sich um die Seelen ihrer Gemeinden kümmern, die Nächstenliebe pflegen, aber die Politik aus dem Spiele lassen, dieweil sie das gar nichts angeht.“ Die „Post“ (Berlin) veröffentlichte das Telegramm am 9. Mai 1896, siehe auch Ernst Rudolf Huber, Wolfgang Huber: Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert. Dokumente zur Geschichte des deutschen Staatskirchenrechts. Band III: Staat und Kirche von der Beilegung des Kulturkampfs bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, Berlin 1990, S. 635.

[2] Gemeint ist vermutlich die russisch-orthodoxe Kirche.