Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 418

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menschen, verzeih uns – wir müssen lachen! … Wie? Der polnische Adel – die Mycielskis, Cegielskis, Radziwills, die Schnapphanskis und Waschlappskis, diese Ritter mit der Fistelstimme und mit monarchischem Gefühl im Herzen – dies die grimmigen Feinde Preußens, die verschlagenen Konspiratoren gegen die bestehende Ordnung, die furchtbare Gefahr für die Integrität des Staates, für Preußen, für das Reich, für den Thron, den Altar und alle heiligsten Güter! Und im preußischen Landtag, wo die wunderlichen Spezies des polnischen Junkers seit Jahrzehnten zur allgemeinen Besichtigung ausgestellt sind, erhob sich nicht ein homerisches Gelächter? Deutschland lachte nicht schallend, aus vollem Halse, bis zu Tränen, als man ihm die 100 Millionen-Vorlage „zur Ausrottung des polnischen Adels“ zeigte, nicht das erste, auch nicht das zweite Mal? Es bleibt auch heute noch ernst, angesichts des dritten Ritts des nun doppelt geharnischten Don Quichotte wider die Windmühlen?

Nein, entschieden, das klassenbewußte Proletariat ist heute die einzige Klasse in Deutschland, die noch über den besonderen klassischen Humor der Reaktion zu lachen versteht.

II.

Preußen hat sich also vorgenommen, „um endlich an der Ostgrenze Ruhe zu haben, um sicher zu sein, dort Leute zu haben, die nicht nur auf Kündigung, die nicht nur so lange Preußen sind, bis sich eine günstige Gelegenheit zum Abfall bietet“ (Bismarck im preußischen Abgeordnetenhaus am 28. Januar 1886)[1] – den polnischen Adel auszurotten, d. h. gerade diejenige Klasse, die den ganzen polnischen Landesteil zum Servilismus und zur preußischen Reaktion systematisch korrumpiert hat, die der sicherste Pfeiler der Herrschaft Preußens in Polen ist.

Mit dem Zwecke stehen aber die Mittel auf gleicher Höhe.

Adlige Güter sollen teils gutwillig, teils durch Zwangsverfahren aufgekauft und zusammen mit königlichen Domänen des Regierungsbezirks Posen zur Bildung von deutschen Kolonien verwendet werden. Der Plan ist kühn, gewaltig, er erinnert in seiner schlichten Größe an das alte Rom, an Militärkolonien, an den Austausch ganzer Bevölkerungsmassen zwischen einzelnen Länderstrichen des antiken „Herrn der Welt“. Aber er hat leider kleine Rechenfehler, ganz simple, triviale Rechenfehler, die für einen gewöhnlichen Sterblichen geradezu undenkbar, unerhört wären, die zu übersehen seit jeher eben nur „Säkularmenschen“ vorbehalten blieb.

Polnische Güter aufkaufen – dazu gehört schlimmstenfalls nur Geld der preußischen Steuerzahler; diese Güter wie die königlichen Domänen zu Kolonien zerschlagen – dazu gehört gleichfalls nur wenig Witz der königlich-preußischen Ansiedlungskommission. Doch woher die deutschen Ansiedler nehmen? Das hat sich der geniale Staatsmann in dem raschen Adlerflug seiner Gedanken nicht überlegt. Und doch ist

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[1] Bismarckreden 1847–1895, S. 308.