Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 413

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position anwenden könnte. Wir können uns sogar noch schärfere Pressionsmittel als das angeführte denken, ohne zu der Schlußfolgerung zu gelangen, daß wir bei ihrer Anwendung alle unsere Obstruktionsgelüste ruhig in der Tasche behalten müßten. Ist denn unsere Opposition gegen die Lebensmittelverteuerung so lendenlahm, daß, wenn die Regierung alle Register zieht, wir die Waffen strecken müßten? Bislang war es die Opposition, die auf einen Schelm anderthalben setzte. Nun sollte sie im Augenblick eintretender Zufälle, wie sie sich eine pessimistische Auffassung konstruiert, versagen? –

Es ist schade, daß die Zuschrift der Chemnitzer „Volksstimme“ nicht positiv angibt, was denn eigentlich die Opposition in Erwartung des „Pressionsmittels schärfster Art“ jetzt schon tun soll. Soll die Warnung einen Zweck haben, dann muß sie doch auch Vorbeugungsmittel voraussetzen. Und sieht man sich zu einer öffentlichen Warnung genötigt, die sogar der Regierung ins Werk pfuscht und deren Arsenal gegen die Opposition sondiert, dann wäre es löblich, auch das Arsenal der Opposition auf seinen Bestand gegenüber dem der Regierung zu prüfen. Und wenn die Zuschrift aus Reichstags- resp. Fraktionskreisen kam, dann war schon angezeigter, wenn der Warner in der sozialdemokratischen Fraktion selbst die Revision der Taktik gegen den Zolltarif anregte. Dort könnte er dann auch – wenn er dies nicht in der Öffentlichkeit tun will – die Grundzüge der neuen Taktik gegen die Zöllnermehrheit darlegen. Wenn freilich die Revision der Taktik darauf hinauslaufen sollte, sanfter gegen die Regierung aufzutreten, damit diese nicht ihr schärfstes Pressionsmittel gegen die Opposition ausspiele, dann dürfte diese Revision weder in der Fraktion noch in der Partei, noch bei den Massen Anklang finden.

Bis jetzt hat die Tätigkeit unserer Mitglieder der Zolltarifkommission in der Fraktion nur Anerkennung gefunden; ihre Taktik ist von keiner Seite bemängelt worden und die Fraktion selbst hat keinen Anlaß zu einer Änderung der bisherigen Taktik gesehen.[1] Hält aber der Warner in der „Volksstimme“ eine solche für nötig, dann wäre es seine Pflicht, sie in der Fraktion anzuregen. Es handelt sich bei dem großen Kampfe gegen die Lebensmittelverteuerer um die Wahrnehmung aller taktischen Vorteile. Bleiben wir gegenüber der Taktik der Gegner im Rückstand, dann muß die Opposition unterliegen. Der Schaden wäre unermeßlich; darum muß jeder auf dem Posten sein, und es ist ganz erfreulich, wenn auch der Warner in der „Volksstimme“

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[1] Diplomatische Begegnungen.