Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 402

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alt und kindisch gewordenen Liberalismus überlassen, seinen Wein in die alten Schläuche des Christentums zu gießen, zumal der liberale Spiritus längst zum Teufel gegangen ist. Der junge gärende proletarische Most dürfte sich bei diesen holden Versöhnungsversuchen doch etwas ungebärdig benehmen.

Zwischen der alten Religion des demütigen Leidens und der passiven Lebensverneinung und dem neuen Glauben an den Sieg der energischsten, der organisierten Lebensbejahung im Klassenkampf kann es wohl vorübergehend einmal einen taktischen Waffenstillstand, niemals aber einen endgültigen Frieden geben. Wenigstens so lange nicht, als der alte Glaube noch eine gesellschaftliche Macht ist, als er in den kirchlichen Korporationen eine Zitadelle besitzt, von der aus er weite Gebiete und entscheidende Positionen des gesellschaftlichen Lebens, die Familie, die Schule etc. beherrscht oder auf deren Beherrschung Anspruch macht, so lange die streitende Kirche als geistiger Generalstab der herrschenden Klassen fungiert und die Diener am Wort deren schwarze Gendarmerie bilden. So lange ist die christliche Weltanschauung und deren Organisation, die Kirche, der Feind, und ihre Bekämpfung darf erst aufhören, wenn ihre Bekenner nur noch ein zusammenhangloses Häuflein von ungefährlichen Narren bildet, das ebenso bedeutungslos und harmlos ist wie etwa die Sekte der modernen Buddhisten unter den oberen Zehntausend von heute. Als dem Glauben der Massen muß der christlichen Weltanschauung Todfeindschaft angesagt werden, wenn anders wir in Wahrheit die Massen geistig revolutionieren wollen, wenn der Sozialismus nicht Halt machen sollte vor den geistlichen Herrschaftsgebieten in den industriell hochentwickelten Gegenden am Rhein und in Westfalen, in Schlesien, Polen und auch in – Belgien. Der „neue Kulturkampf“ bildet sich immer klarer als die politische Hauptaufgabe der Gegenwart und der nächsten Zukunft heraus, ein Kampf der Geister, der nur mit der Zertrümmerung des Klerikalismus endigen darf. Der Sozialismus ist auch auf diesem Gebiet berufen, die geschichtliche Aufgabe, die der bürgerliche Liberalismus unerledigt gelassen hat, in elementarer Weise durchzuführen, und nichts könnte in diesem Kampf um eine neue Kultur verwirrender und hemmender wirken als eine Verwischung der lapidaren Grenzlinien, welche die beiden feindlichen Weltanschauungen trennen wie Feuer und Wasser.

Der Sozialismus will die Welt geistig erobern. Darum ist der ideelle Beherrscher der Welt von heute, das Christentum, sein geschworener Feind. Rein theoretisch steht er der christlichen Weltanschauung – abgesehen von deren sittlichen und sozial-ethischen Begriffen – mit derselben überlegenen Indifferenz gegenüber wie jeder anderen „positiven“ Religion oder Philosophie. Alle Religionen oder Philosophien haben bisher die Welt aus einem „Prinzip“ zu erklären versucht, und der Unterschied war nur der, ob sie den Ausgangspunkt[1] ihrer Betrachtung in den Menschen oder außerhalb des Menschen legten. So entstanden idealistische und materialistische Philosophien,

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[1] In der Quelle: Augpunkt.