Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 386

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die Kammer macht den Eindruck der Ermüdung. Smeets fährt fort: Wenn der de Smet Naeyer die Armee das Blut des Volkes vergießen lasse, dann gehöre er ins Irrenhaus. Ob denn der König nur der König der Katholiken sei? Wenn der König wolle, sei morgen Frieden im Lande. (Beifall links.)

Der folgende Redner ist Anseele, der Führer der flämischen Sozialisten.

Über den Schluß der Verhandlungen berichtet Wolffs Büro:[1]

Brüssel, 18. April. Smeets (Soz.) führt aus: Man darf sich keinen Illusionen mehr hingeben. Sie sind bereit, 60000 Mann gegen ihre Brüder zu hetzen, aber Sie werden uns nicht alle töten, es werden von uns viele zum weiteren Widerstande übrigbleiben. Da die Regierung nicht gewillt ist, dem König anzuraten, seine Pflicht zu tun, so werden wir den König beschwören und ihn bitten, einzugreifen. Er möge ein Wort sagen, und der Friede wird wiederhergestellt sein. Nach weiteren Ausführungen verschiedener Redner wird der Antrag auf Revision der Verfassung mit 84 gegen 64 Stimmen abgelehnt.

Brüssel, 18. April. Nach Schluß der Sitzung der Repräsentantenkammer begaben sich die sozialistischen Deputierten, denen sich ein Zug von ungefähr tausend Personen anschloß, nach dem Volkshause, wo eine Versammlung abgehalten wurde, in welcher der sozialistische Abgeordnete Vandervelde das Volk beschwor, auf den Wegen der Gesetzmäßigkeit zu verharren. Er hoffe noch, fügte Vandervelde hinzu, daß der König intervenieren werde, um der Angst des Volkes ein Ende zu machen. Die Versammlung erteilte noch dem Beschlusse des Generalrats der Arbeiterpartei wegen Fortsetzung des allgemeinen Ausstandes unter Anwendung friedlicher Mittel ihre Zustimmung und ging dann in größter Ruhe auseinander. Diesen Beschluß hatte der Generalrat bereits vormittags, in Voraussicht des Resultats der Kammerabstimmung, gefaßt.

Der Generalausstand dauert also weiter. Nach übereinstimmenden Berichten sind über 300000 Arbeiter dauernd im Streik. Das bedeutet, daß die gesamte Arbeiterschaft der belgischen Großindustrie, d. h. die Hälfte der belgischen Industriearbeiterschaft überhaupt sich im Ausstand befindet. Der Produktionsausfall Belgiens wird bei niedrigster Rechnung auf täglich drei bis vier Millionen Franken veranschlagt. Das ist ein Verlust, der für die belgische Industrie einfach ruinös wirken muß. Die Bourgeoisie Belgiens, die ohnehin in diesem Kampf nicht einheitlich geschlossen gegen die Arbeiterschaft steht, wird sich diese Opfer nicht gutwillig auferlegen lassen. Sie wird sich ernstlich fragen, ob das klerikale Parteiregiment diese ungeheuren Verluste wert ist.

Aber selbst in dem Falle, daß die Aktion der Arbeiterschaft wider Erwarten zusammenbrechen sollte, wird sie nicht unterliegen, ohne dem Gegner tiefe Wunden geschlagen zu haben. Die Situation würde dann dieselbe sein, wie im Jahre 1891, welcher bekanntlich der Triumph von 1893 folgte. Der Verfassungskampf wäre nur vertagt, und bei den bevorstehenden Neuwahlen zur Kammer würde sich die revolutio

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[1] Gemeint ist Wolffs Telegraphisches Büro.