Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 385

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fiskalischem oder erbrechtlichem Wege zu tun? Wenn diese Partei an Stelle der freien Verfügung des einzelnen über seine Fähigkeiten und seine Tätigkeit die allgemeine Dienstbarkeit des kollektivistischen Staates setzen will? Das wären die schlimmen Aussichten, die vor uns sich öffnen würden, das brauchen wir uns nicht zu verhehlen.

Der Ministerpräsident hat nicht ganz unrecht: Auch der augenblickliche Kampf in Belgien ist, wie jeder politische Kampf, nur eine Episode des großen gesellschaftlichen Machtkampfes zwischen Bourgeoisie und Proletariat überhaupt. Jede Verfassungsänderung ist ein Stück Revolution; sie ist die gesetzliche Festlegung der tatsächlichen Verschiebung der Machtverhältnisse innerhalb der Klassen der Gesellschaft, und sie hat stets nur so viel Aussicht auf Erfolg, als sie der organischen Veränderung in der Zusammensetzung und dem politischen Schwergewicht dieser Klassen entspricht. Sie ist in letzter Linie immer nur eine Kodifizierung von politischen Umwälzungen, die sich bereits urwüchsig im Organismus der Gesellschaft vollzogen haben, und der jeweilige Verfassungskampf hat nur die Bedeutung, die neuen politischen Kräfte mit größtmöglichem Nachdruck zur Geltung zu bringen. Insofern ist es nur ein niedriger demagogischer Kniff, wenn der Herr Minister die Entfaltung der revolutionären Energie auf der Straße als eine Gefahr für den Bestand der Gesellschaft und Ordnung überhaupt denunziert; die Arbeiterklasse wird stets nur so viel Revolution machen und auch nur so viel Revolution machen können, als dies der tatsächlichen Umwälzung der Machtverhältnisse in der Gesellschaft überhaupt entspricht. Es ist aber das gute Recht der Arbeiterklasse, ihre tatsächliche Bedeutung innerhalb der Gesellschaft vor dem Bewußtsein der Allgemeinheit mit größtmöglicher Energie zur Entfaltung zu bringen. Diesem Zwecke dient der Generalausstand als vornehmstes Mittel; aber auch durch den Generalausstand wird das Proletariat nur so viel erreichen, als es seiner wirklichen Kraft und der Intelligenz seiner Führung entsprechen wird.

Über die gestrige entscheidende Sitzung in der Kammer entnehmen wir dem Bericht der „Frankfurter Zeitung“:

Brüssel, 18. April. Die Tribünen sind überfüllt. Erster Redner ist der sozialistische Heißsporn Demblon, welcher gegen seine Gewohnheit heute ruhig und sachlich einsetzt. Die ungeheure Mehrheit des Landes sei für das allgemeine Stimmrecht, gegen welches die Regierung nur Sophismen und Kanonen ins Feld schicke. Die Zukunft gehöre, angesichts der industriellen Entwicklung Belgiens, dem Sozialismus. Demblon führt weiter aus, die Rechte dürfe hinfort ebenso wenig das Wort Vaterland im Munde führen, wie die Prostituierten das Wort Liebe. Sie seien Feinde der Verfassung.

Smeets (Sozialist) richtet einen letzten Appell an das ganze Land, heute, an diesem historischen Tage der belgischen Geschichte. (Im Jahre 1893 war der 18. April der Tag des Zusammenbruchs des Widerstands gegen das allgemeine Stimmrecht. Die Red.)[1] Er wirft dann der Regierung in beredter Weise ihre unheilvolle Politik vor, aber

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[1] Siehe S. 175, Fußnote 2.