Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 387

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näre Energie der Arbeiterklasse furchtbar entladen. Augenblicklich aber ist es noch nicht so weit. Die belgische Arbeiterschaft ist jetzt ganz auf sich selbst gestellt und erwartet alles von der gesetzlichen Revolution des Generalstreiks.

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Die letzte Hoffnung des Ministeriums ist der Straßenkampf. Das beweist nachstehende Meldung eines offiziösen Büros:

Brüssel, 19. April. Gestern Abend gegen 10 Uhr begannen vor dem Ministerium Unruhen infolge des Vorgehens der Polizei. In Brügge verwundete die Polizei 15 sozialistische Manifestanten; in Löwen gab es fünf Tote, indem die Gendarmen ohne vorherige Warnung zweimal feuerten. Alle Offiziere sind auch nachts in den Kasernen konsigniert. Der Gouverneur der Provinz Brabant schickte ein Rundschreiben an alle Bürgermeister, worin er strenge Maßregeln gegen die Ruhestörer anbefiehlt.

Die offene Absicht der Provokation trägt auch eine Maßregel an der Stirn, die allerdings nicht zur Ausführung gekommen ist. Wie der Brüsseler Korrespondent aus sehr glaubwürdiger Quelle erfährt, hätte die Regierung in voriger Woche die Absicht gehabt, die sozialistischen Abgeordneten zu verhaften. Der Oberstaatsanwalt habe aber seine Unterstützung entschieden abgelehnt. Weiter wird mitgeteilt, daß die sozialistische Partei gestern erwogen habe, ob sie offiziell einen Schritt beim König tun solle; doch war die Mehrheit dagegen. Aus dem Bürgerstande fließen reichliche Mittel. Die Genter Industriellen haben unter sich eine Streikkollekte eröffnet. Die Nachrichten, daß Fabriken den Streikenden den halben Lohn zahlen, sind nicht mehr vereinzelt. Vandervelde erklärte, daß er die Obstruktion gegen das Budget gegenwärtig für nicht opportun halte, er erwarte mehr Erfolge von einer Bewegung im ganzen Lande und zweifle keinen Augenblick am endlichen Sieg des allgemeinen Stimmrechts.

Leipziger Volkszeitung,

Nr. 89 vom 19. April 1902.

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