Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 379

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Janson fährt fort: Das allgemeine Stimmrecht sei keine revolutionäre Forderung. Er wendet sich noch einmal mit gewaltiger Redekraft gegen das bestehende Mehrstimmrecht. Gramme, der Erfinder der Dynamomaschine, habe nur eine Stimme gehabt, weil er vermögenslos war. Janson feiert in begeisterten Hymnen das niedere Volk und ruft den Sozialisten zu: „Fordert die Arbeiter auf, noch einige Tage auszuhalten, ruhig und ohne Gewalttaten zu begehen. (Die Sozialisten acclamieren stürmisch.) „Ich spreche zum Lande, das oft meine Stimme erhört hat. Gewaltige Manifestationen für das allgemeine Stimmrecht haben stattgefunden, wo bleiben die Volksmassen, die dagegen demonstriert hätten? Noch niemals gab es einen so tiefen Konflikt zwischen der öffentlichen Meinung und der Majorität der Kammer. Die Auflösung der Kammer, welche die Liberalen vorgeschlagen, habe die klerikale Mehrheit vermieden. Die Haltung der Regierung sei revolutionär, die Geschichte werde sie einst brandmarken, sie habe das Volk in Verzweiflung gestürzt. (Die ganze Linke klatscht Beifall.)

Der nächste Redner ist der Sozialist Mansert. Er entschuldigt sich, daß er als ein einfacher Arbeiter nach diesem gewaltigen Redner das Wort ergreife.

Während Mansert spricht, ziehen sich die sozialistischen und radikalen Führer zu einer Beratung zurück. Paul Hymans verhandelt mit dem Präsidenten privatim, um zum Wort zu kommen.

Über den Schluß der Sitzung liegt die folgende Meldung des Wolff-Büro[1] vor:

Brüssel, 17. April. Repräsentantenkammer. Der Progressist Janson hält eine längere Rede, in welcher er ausführt, die stellenweise vorgekommenen Unruhen könnten der Haltung des Ministeriums nicht als Vorwand dienen. „Die überwiegende Mehrheit des Landes will die Revision der Verfassung. Wenn Sie, am Vorabend eines Bürgerkrieges, die Debatte abschneiden, begehen Sie ein nicht wieder gut zu machendes Verbrechen. Das Volk will die politische Gleichheit.“ (Stürmischer Beifall links.) Janson wendet sich zu den Sozialisten und ruft: „Fordern Sie Ihre Freunde auf, noch einige Tage lang öffentlich ihre Aktion fortzusetzen und ich stehe für den Erfolg.“ Janson nimmt für die Arbeiter das Recht des Ausstandes in Anspruch, worauf sich ein lebhaftes Wortgefecht zwischen ihm und Woeste von der Rechten entspinnt. Janson fährt dann fort: „Das einzig Vernünftige wäre, heute zu beschließen, daß die Revision in Erwägung gezogen werden soll. Die Haltung der Regierung wird unseren Institutionen verhängnisvoll werden. Das allgemeine Stimmrecht bedeutet gleiches Recht für alle Bürger, denn es wird ihnen für immer die Befriedigung geben, auf welche sie ein Recht haben. Wenn die Monarchie hier dem Ministerium in seinem unglaublichen Widerstande folgen sollte, dann würde sie eine Verantwortung übernehmen, welche ich, ein Republikaner, ihr nicht wünsche.“ (Anhaltender Beifall links.) Der Kriegsminister Cousebandt erhebt Einspruch gegen die Worte des Sozialisten Mansert, der

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[1] Gemeint ist Wolffs Telegraphisches Büro.