Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 378

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-6/seite/378

mer soll heute fünf Stunden sitzen.“ Er hält seinen Vorschlag aufrecht. (Die Rechte klatscht.) – Der Liberale Braun bemerkt, die Situation kann nicht dauern; er bittet die Regierung, entgegenkommend zu sein und einzuwilligen, daß der Schluß erst morgen erfolgt.

Bertrand (Sozialist): Beernaert und Féron hätten gestern so lange reden dürfen, wie sie wollten; auch er wisse, daß die Bürgergarde genug von den Unruhen hat, die die Regierung hervorrufe; er kann höchstens zugeben, daß man am Samstag schließt. – Smeets (Sozialist): Falls die Regierung heute ein Wort des Friedens sagen wollte, würde nichts die Kammer hindern, heute noch zu schließen; nach einem Gewaltstreich, wie dem von der Regierung beabsichtigten, würde das Land morgen in Revolution sein.

Vandervelde spricht privatim mit de Smet de Naeyer und beschwört ihn zum Nachgeben. Der Minister weigert sich, wie aus den Bewegungen Vanderveldes ersichtlich zu sein scheint.

Vandervelde erklärt, die Haltung der Regierung könne nur die Folge einer um 1 Uhr abgehaltenen Sitzung sein, auch die Linke müsse das Recht haben, in dieser furchtbar schweren Stunde zu beraten und schlägt eine Vertagung um eine Stunde vor. De Smet de Naeyer bekämpft auch diesen Vorschlag Vanderveldes. Smeets droht dem Minister mit den Fäusten. Féron: Die Kammer muß die Freiheit haben, die Verhandlungen zu schließen, wann sie will. Er fleht die Kammer an, noch Redner anzuhören. Man möge die Nacht über tagen. Die Sozialisten rufen: Und morgen. De Smet de Naeyer besteht auf seinen Plan, die Kammer heimzuschicken, bevor die Leute auf den Straßen es erwarten könnten. Wahrscheinlich glaubt er, so ein Unwetter auf den Straßen zu vermeiden.

Es folgt ein allgemeines Durcheinander. Lorand schlägt vor, die Debatte über den Schluß der Diskussion bis 4 Uhr zu vertagen und dem Minister vorher seine endgültige Antwort auf den Revisionsvorschlag entwickeln zu lassen.

De Smet de Naeyer gibt darauf eine Erklärung, doch ist er sehr schwer zu verstehen. Nicht die Frage des allgemeinen Stimmrechts, sagt er, steht in erster Reihe auf der Tagesordnung, sondern ob ein freies Land in Kammer und Presse seine Angelegenheiten entwickeln soll oder durch Streik und Meetings. (Furchtbare Aufregung.) Vandervelde schreit: Die Reaktionäre sind die schlimmsten Revolutionäre. De Smet: „Ihr fordert ein Wort des Friedens, die Regierung lehnt die Verantwortung für das furchtbare Elend ab, das aus dem Generalstreik folgen wird.“ Aus einem tiefen Gefühl für seine Verantwortung heraus bitte er die Kammer, den Antrag, die Verfassungsrevision in Betracht zu ziehen, abzulehnen.

Janson (radikal) richtet einen letzten Appell an die Regierung. „Ihr begeht ein furchtbares Verbrechen“, ruft er mit gewaltiger Stimme, „alles Blut des kommenden Bürgerkriegs auf Euer Haupt.“ (Gewaltiger Beifallssturm bei den Sozialisten.) „Ihr seid blind, Ihr wißt nicht, was Ihr tut, sonst tätet Ihr es nicht.“ Er hofft, daß eines Tages die Arbeitermassen auch die Macht bekommen, ihr Recht zu erzwingen, da man es ihnen nicht gibt.

Nächste Seite »