„In nationalen Dingen“, so rief der Kanzler grandios aus, „verstehe ich keinen Spaß.“[1] Das erhabene Wort kann unmittelbar auf die Walze gebracht werden, als Variante zu den Deutschen, die niemand fürchten als Gott:[2]
Ich, Graf Bülow, laß gefallen
Scherzend, tändelnd gern nur dies und das,
Aber in nationalen
Fragen, da versteh’ ich keinen Spaß. …
Begeistert jubelten dem Grafen die doppelt gesiebten Volksvertreter zu, ein Jubel, der noch gesteigert wurde, als Graf Bülow einen Cantus auf den „größten deutschen Staatsmann“,[3] den Fürsten Bismarck, anstimmte. Der neue Ministerpräsident ist auch wirklich lüstern nach Bismarckschen Blamagen. Wie dieser die Sozialdemokratie, so glaubt Graf Bülow, die Polen durch ein Ausnahmegesetz zur Strecke bringen zu können. Aber so ganz ist er als schwächlicher Epigone doch nicht von der Wirkung eines Ausnahmegesetzes überzeugt und deshalb will er „zur Zeit“ davon absehen, nur will er sich die Hände nicht binden. Einstweilen glaubt er durch einfachere Mittel auskommen zu können. Er will die wirtschaftliche Lage der Deutschen im Osten, vornehmlich der Großgrundbesitzer, stärken, er will deutsche Garnisonen nach polnischen Städten legen und vor allem die Beamten in den Ostmarken durch Gehaltserhöhungen und Aussicht auf schnelle Beförderung zur Germanisierungspolitik anstacheln – Mittel, die zweifellos ihre Wirkung nicht verfehlen werden, allerdings in einem der Regierung unangenehmen Sinne. Der Kampf wird Millionen kosten, das deutsche Volk wird von neuem geschröpft werden, und die Regierung wird schließlich doch die Waffen strecken müssen.
Dabei hatte Graf Bülow sogar ein gewisses Bewußtsein davon, daß die neuerdings betriebene Polenpolitik schlechterdings verkehrt und unwürdig ist; denn er gab die Wreschener Vorgänge preis und erklärte, daß künftig nicht mehr den Kindern das deutsch-nationale Christentum eingebläut werden soll.[4]
Trotz dieses Zugeständnisses ergriff nach Bülow der Kultusminister Studt das Wort, um – die Rohrstockpädagogen von Wreschen zu verherrlichen. Oder hat die Regierung etwa nur deshalb für den Religionsunterricht das Prügeln verboten, damit in den andern Lehrstunden um so kerniger a posteriori germanisiert werden kann?
[1] Ebenda, S. 261.
[2] Anspielung auf die Rede von Otto von Bismarck am 6. Februar 1888 im Reichstag zu Gesetzentwürfen zur Wehrpflicht und über die Aufnahme einer Anleihe für Zwecke der Verwaltung des Reichsheeres. Wörtlich sagte er: „Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt; und die Gottesfurcht ist es schon, die uns den Frieden lieben und pflegen läßt.“ Bismarckreden 1847–1895. Hrsg. von Horst Kohl. Vierte Aufl., Leipzig 1899, S. 357.
[3] Graf Bülows Reden, S. 278.
[4] Die Siehe ebenda, S. 258 f.