Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 347

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-6/seite/347

Stellung zu erhalten, auf der es durch seine lange, unter der weisen Führung der Hohenzollernschen Fürsten geleistete Kulturarbeit gerechten Anspruch erworben hat, das Deutschtum zu pflegen, staatsfeindliche Bestrebungen abzuwehren und das Zurückdrängen deutscher Sprache und Sitten zu verhüten“.[1]

Gleichzeitig stand am Montag eine Interpellation der Polen zur Verhandlung, ob die Regierung „in Anbetracht der bekannten Schulvorgänge in Wreschen[2] und im öffentlichen Interesse überhaupt es nicht für geboten erachtet, die auf dem Gebiet des Religionsunterrichts in den Volksschulen der sprachlich gemischten Landesteile getroffenen Anordnungen einer Abänderung zu unterwerfen“.[3]

Die Nationalliberalen schickten zur Begründung ihrer Interpellation nicht den Spezialisten für Polenvernichtung, Herrn Dr. Sattler, sondern den früheren Staatsminister Hobrecht vor, der in ruhigerer und friedlicherer Weise, als man es sonst von den Nationalliberalen gewohnt ist, die angebliche Gefahr der großpolnischen Bewegung schilderte und die Regierung ermunterte, in dem seit einigen Jahren auf dem Gebiete der Polenpolitik eingeschlagenen Wege fortzufahren. Der Redner verwahrte sich ausdrücklich dagegen, daß seine Interpellation etwa beabsichtige, die Regierung zu Ausnahmegesetzen anzuregen. Das Haus hörte seine Rede mit Aufmerksamkeit, aber ohne besondere Erregung an.

Lebhafter wurde es, als der Pole Dr. v. Jaz´dzewski die Tribüne bestieg und in leidenschaftlicher durch die fortgesetzt gegen seine Landsleute verübten Ungerechtigkeiten leicht erklärlicher Weise schwere Angriffe gegen die Regierung richtete. Als er mit Bezug auf die Wreschener Vorgänge die Bemerkung machte, daß die Gerechtigkeit, die sonst nur eine Binde vor den Augen trage, in Wreschen aus Scham das ganze Gesicht verhüllt habe, erschollen lebhafte Pfui-Rufe aus den Reihen der Konservativen und Nationalliberalen, und der Präsident rief den Redner wegen Beleidigung preußischer Richter zur Ordnung.

Unter gespanntester Aufmerksamkeit erhob sich der Ministerpräsident Graf Bülow, um in seiner fast zweistündigen Rede ein prächtiges Dokument germanischen Geistes vom Jahre 1902 darzubieten, das sicherlich wesentlich dazu beitragen wird, die Polen so tief von der geistigen Überlegenheit des deutschen Stammes Bülowscher Haarfarbe zu überzeugen, daß sie freiwillig aufhören, Polen zu sein. Wer möchte nicht einem Volke angehören, dessen höchster Beamter ein so gewaltiger Träger feinster Kultur ist: Die tiefsinnigsten Ewigkeitsworte strömten nur so von seinen Lippen.

Nächste Seite »



[1] Graf Bülows Reden, S. 254.

[2] In Wreschen, einer Kreisstadt der damaligen Provinz Preußen, waren am 20. Mai 1901 polnische Kinder von einem Lehrer schwer mißhandelt worden, weil sie im Unterricht Fragen nicht in deutscher Sprache hatten beantworten wollen. Die empörten Eltern verteidigten ihre Kinder. Einige Eltern wurden daraufhin wegen „Landfriedensbruchs“ zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Das Vorgehen der preußischen Behörden erregte auch im Ausland so großes Aufsehen, daß der Reichstag gezwungen war, sich damit zu beschäftigen.

[3] Zitiert nach Graf Bülows Reden, S. 255.