Als erster Diskussionsredner mahnte Abg. Fritzen (Z[entrum]) die Regierung dringend, von ihrer falschen Politik abzustehen und den jetzt beschrittenen Weg zu verlassen. Im Gegensatz dazu überbot sich der konservative Redner Abg. von Heydebrandt in den überschwänglichsten Lobreden auf den Grafen Bülow. Zum ersten Male habe man seit langer Zeit wieder einmal ein deutsches Wort von der Regierung gehört. Graf Bülow ist jetzt endlich ein Mann ganz nach dem Herzen der Junker, die von ihm die Erfüllung ihrer dreistesten Wünsche erwarten. Umsonst loben die preußischen Junker keinen Minister, sie wollen dafür bare Münze sehen, und so benutzte denn Herr v. Heydebrandt die Gelegenheit, um sofort die Regierung um vermehrte Liebesgaben für den ostelbischen Großgrundbesitz anzuschnorren. Die Herren verstehen sich eben aufs Geschäft.
Nachdem noch der Pole Stychel die Maßnahmen der Regierung, die nur dazu angetan seien, das Selbstbewußtsein der Polen zu stärken, scharf bekämpft hatte, wurde die Debatte auf Dienstag vertagt.
Wenn es nach den tönenden Worten des Kanzlers geht, so stehen wir vor einem inneren Burenkrieg[1], und die polnischen Landesteile werden in ein Konzentrationslager verwandelt.
An eine polnische Gefahr glaubt kein Vernünftiger. Aber die germanisierende[2] Gefahr besteht, daß die deutsche Kultur zum Gespött wird und der Verachtung und dem Haß anheimfällt, anstatt daß sie durch ihre innere Kraft propagandistisch wirkt.
In nationalen Dingen, das heißt in dem Recht auf die Erhaltung nationaler Eigenart, versteht niemand Spaß, am allerwenigsten die Polen. Und Graf Bülow wird bald belehrt werden, daß seine Politik nichts andres erreichen wird, als das Polentum zu Granit zu härten.
Vorwärts (Berlin),
Nr. 11 vom 14. Januar 1902.
[1] Nach der Entdeckung von Goldfeldern in Transvaal hatte England im Oktober 1899 einen Krieg gegen die Burenrepublik in Südafrika provoziert. Nach anfänglichen militärischen Schwierigkeiten gelang es England, durch einen brutalen Unterdrückungsfeldzug die Buren im Mai 1902 der britischen Herrschaft zu unterwerfen.
[2] In der Quelle: germanisatorische.