In gleichem Sinne äußerte sich Genosse Liebknecht: „Wären Bernsteins Ausführungen richtig, dann könnten wir unser Programm und unsere ganze Vergangenheit, die ganze Sozialdemokratie, begraben lassen, dann würden wir aufhören, eine proletarische Partei zu sein.“[1]
Anderseits schrieb Professor Julius Wolf, bald nachdem der Bernsteinsche Artikel „Der Kampf der Sozialdemokratie und die Revolution der Gesellschaft“ erschienen war: „Die Bedeutsamkeit seiner Äußerungen kann nicht überschätzt werden. Sie sind ein Faustschlag ins Gesicht der bisherigen sozialistischen Theorie, die offene Kriegserklärung gegen diese.“[2]** Ich will Bernstein durchaus nicht das Recht bestreiten, derselben Partei Faustschläge ins Gesicht zu versetzen, deren Anschauungen er früher gepredigt. Jedermann kann seine Anschauungen ändern. Aber er durfte uns nicht zu versichern suchen, daß die Änderung, die sich in seinen Ansichten vollzogen, von keiner wesentlichen Bedeutung wäre. Er hätte wissen und begreifen sollen, daß aus seinen neuen Ansichten sich unmöglich der Klassenkampf folgern läßt, auf dessen Boden die internationale Sozialdemokratie steht, – daß diese Ansichten unvermeidlich „Zum socialen Frieden“, den Herr Schulze-Gaevernitz und Konsorten predigen, führen muß. Kurz, Bernstein hatte das Recht, gegen die Sozialdemokratie zu fechten, aber er sollte mit offenem Visier fechten. Und da er das nicht getan hat, so verdient er dafür nicht Dank, sondern bitteren Vorwurf. Zur Zeit der Renaissance und früher sogar gab es Gelehrte, welche bestrebt waren, zu beweisen, daß gewisse Philosophen des Altertums Christen gewesen wären. Selbstverständlich bewiesen sie in Wirklichkeit nicht das, was sie wollten, sondern das, was zu beweisen gar nicht in ihrer Absicht lag, nämlich, daß sie selber den Standpunkt des Christentums verlassen hatten und Heiden geworden waren. Etwas Ähnliches ist auch unseren „Gelehrten“ passiert, die Bernstein in Schutz genommen haben; sie haben bewiesen, nicht, daß Bernstein dem Sozialismus („im Sinne von Engels und Marx“) treu geblieben war, sondern, daß sie selber von den Ansichten der bürgerlichen „Sozialpolitiker“ angesteckt sind. Die internationale Sozialdemokratie muß stets auf der Hut vor solchen „Gelehrten“ sein, sonst können sie ihr viel Unheil bringen. Schluß folgt.)