tretern seiner Anschauung auf dem Parteitage, geschweige denn in unseren Betrachtungen über den Parteitag längst nicht entwickelt worden ist. Gleichwohl erregten diese immerhin derben Sätze, als sie zuerst veröffentlicht wurden, in einer Zeit, wo die Gemüter in der Partei noch immer sehr erregt waren, nach jenem ersten größeren Streit über ‚praktische Politik‘ und revolutionäre Taktik, nirgends den geringsten Anstoß, und wir vermögen keinen Fortschritt daran zu erkennen, wenn heute eine von Engels schon vor elf Jahren für nötig erklärte Diskussion, auch wenn sie noch so sachlich geführt wird, mit Koseworten von ‚reiner Farce‘, ‚lächerlicher Beweismanier‘ und dergleichen mehr erstickt werden soll.“[1]
Morgen erteilen wir das Wort zur Frage der Taktik dem Genossen G. Plechanow.
XI
Wofür sollen wir ihm dankbar sein?
Offener Brief an Karl Kautsky. Von G. Plechanow[2]
Hochverehrter und lieber Genosse!
Vor allem gestatten Sie mir, Ihnen meinen Dank für das Vergnügen auszusprechen, das mir Ihre Reden auf dem Stuttgarter Parteitag der deutschen Sozialdemokratie bereitet haben. Im Zusammenhange mit der Ihnen zu Teil gewordenen begeisterten Zustimmung seitens der erdrückenden Mehrheit der Parteitagsdelegierten, bilden diese Reden ein politisches Ereignis von großer Tragweite. Konnten früher die Reden und Aufsätze einiger Mitglieder der deutschen Arbeiterpartei – diejenigen der Herren Bernstein, Conrad Schmidt und Heine – in den Herzen unserer Feinde die angenehme Hoffnung wachrufen, die deutsche Sozialdemokratie wäre im Begriff, den revolutionären Boden des Klassenkampfes zu verlassen und sich auf den sump
[1] Franz Mehring: Ein Wort der Abwehr. In: Leipziger Volkszeitung, Nr. 249 vom 26. Oktober 1898.
[2] Dieser Brief erschien damals nur in der Sächsische Arbeiter-Zeitung (Dresden), später in Georgi Plechanow: Eine Kritik unserer Kritiker, S. 41 ff. Er knüpfte an eine Bemerkung Karl Kautskys auf dem Stuttgarter Parteitag an. In einem Brief vom 30. Oktober 1898 riet Karl Kautsky Eduard Bernstein ab, sich mit Plechanow in eine Diskussion einzulassen. „Solltest Du aber trotzdem nicht länger gegen Pl[echanow] schweigen wollen, und ich begreife das recht gut, dann sage ich, wäre es ganz deplacirt, die Diskussion etwa in die sächs[ische] Arb[eiter-Zeitung] zu verlegen. Das ist nicht der richtige Ort dazu, und diese Ehre gönne ich der Luxemburg nicht, daß die zur Leiterin der Diskussion mit Dir wird.“ Diese Diskussion müsse in der „Neuen Zeit“ geführt werden. Siehe: Eduard Bernsteins Briefwechsel mit Karl Kautsky (1895–1905). Eingel. und hrsg. von Till Schelz-Brandenburg unter Mitarbeit von Susanne Thurn, Frankfurt am Main–New York 2003, S. 817. Karl Kautsky bemühte sich, Bernstein ein Exemplar der ausverkauften Sächsische Arbeiter-Zeitung (Dresden) zu besorgen, dessen Empfang ihm am 21. November 1898 bestätigt wurde, siehe ebenda, S. 833 f. und 837. Rosa Luxemburg sandte Bernstein ihr Exemplar Ende November 1898, nachdem sie von Kautsky erfahren hatte, daß Bernstein, seitdem sie Redakteurin der Sächsische Arbeiter-Zeitung (Dresden) geworden war, diese Zeitung nicht mehr bekommen hatte. Sie war empört über diesen Skandal, von dem sie nichts gewußt hatte. Siehe Rosa Luxemburg an Leo Jogiches, 30. November 1898. In: GB, Bd. 1, S. 219.