Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 215

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stigsten Falle würde sie erhärten, daß es hüben und drüben Ausnahmen von der Regel gibt, was die Regel selbst nur bestätigt.

Das Zitat aber aus dem ‚Kommunistischen Manifest‘, das uns entgegengehalten wird, trifft deshalb nicht zu, weil es zwar den kleinbürgerlichen Sozialismus, jedoch mit ausdrücklichen Worten den kleinbürgerlich-reaktionären Sozialismus kennzeichnet, der in vormärzlicher Zeit in England und Frankreich bestand, heute aber in Deutschland nur noch als Antisemitismus, Zunftschwärmerei etc. besteht. Daß dieser kleinbürgerliche Sozialismus in der heutigen Sozialdemokratie irgendeinen, und sei es auch nur den leisesten Anklang findet, ist bisher von niemandem behauptet worden und jedenfalls von uns nicht, denn wir sprachen mit aller wünschenswerten Deutlichkeit von ‚allen Aufgaben der bürgerlichen Demokratie‘, die der Sozialdemokratie durch ihre Ausbreitung in die kräftigen Schichten des Kleinbürgertums zugefallen seien. Man konnte von den Verfassern des ‚Kommunistischen Manifestes‘ billigerweise nicht verlangen, im Jahre 1848 eine historische Entwicklung zu schildern, die erst einige Jahrzehnte später eingetreten ist; legt man aber auf ihre Ansicht Wert, so schrieb Engels im Jahre 1887, bald nachdem die erste größere Auseinandersetzung über ‚praktische Politik‘ und proletarisch-revolutionäre Taktik in der Partei stattgefunden hatte, erst im Züricher ‚Sozialdemokraten‘ und dann in der Vorrede zu einer neuen Auflage seiner Schrift über die Wohnungsfrage folgendes:

‚Anderseits aber in der Sozialdemokratischen Partei selbst, bis in die Reichstagsfraktion hinein, findet ein gewisser kleinbürgerlicher Sozialismus seine Vertretung. Und zwar in der Weise, daß man zwar die Grundanschauungen des modernen Sozialismus und die Forderung der Verwandlung aller Produktionsmittel in gesellschaftliches Eigentum als berechtigt anerkennt, aber ihre Verwirklichung nur in entfernter, praktisch unabsehbarer Zeit für möglich erklärt. Damit ist man denn für die Gegenwart auf bloßes soziales Flickwerk angewiesen und kann je nach Umständen selbst mit den reaktionärsten Bestrebungen zur „Hebung der arbeitenden Klasse“ sympathisieren. Das Bestehen einer solchen Richtung ist ganz unvermeidlich in Deutschland, dem Lande des Spießbürgertums par excellence, und zu einer Zeit, wo die industrielle Entwicklung dies alt eingewurzelte Spießbürgertum gewaltsam und massenweise entwurzelt. Es ist auch für die Bewegung ganz ungefährlich bei dem wunderbar gesunden Sinn unserer Arbeiter, der sich gerade in den letzten acht Jahren des Kampfs gegen Sozialistengesetz, Polizei und Richter so glänzend bewährt hat. Aber es ist nötig, daß man sich darüber klar werde, daß eine solche Richtung besteht.‘[1]

In den obigen Sätzen ist das, was die heutigen Vertreter der proletarisch-revolutionären Richtung meinen und wollen, so klar und sachlich ausgesprochen, daß dem kein Wort weiter hinzugefügt zu werden braucht‘. Dabei entwickelt Engels ein Temperament – vermutlich weil er auch an ‚innerer Unsicherheit‘ litt –, das von den Ver

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[1] Friedrich Engels: Vorwort [zur zweiten durchgesehenen Auflage „Zur Wohnungsfrage“]. In: MEW, Bd. 18, S. 650.