Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 214

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In der „Leipziger Volkszeitung“ schreibt der Verfasser der „Glossen zum Parteitag“,[1] der bekanntlich in seinen Nachbetrachtungen die opportunistischen Anwandlungen eines Teils unserer Parteigenossen durch kleinbürgerliche Einflüsse erklärte:

„Unsere Bemerkungen über die historischen Gegensätze in der Partei haben den heißen Unwillen einzelner Parteiblätter erregt. Eins von ihnen erklärt unsere Ausführungen für die ‚reine Farce‘, für eine ‚lächerliche Beweismanier‘; es ist dasselbe Parteiblatt, das den prinzipiellen Teil des Erfurter Programms, wenn nicht unter den Tisch werfen, so doch in den Silberschrank stellen will, und das sich nach dieser kleinbürgerlich-sozialistischen Kraftleistung vor lauter sittlicher Entrüstung nicht zu lassen weiß, weil wir in dem denkbar loyalsten Tone und in dem denkbar sachlichsten Zusammenhange von kleinbürgerlich gefärbten Elementen in der Partei gesprochen haben. Ernsthafter ist die Polemik eines anderen Parteiblattes, das uns ‚schlagend‘ und ‚befriedigend‘ widerlegt haben will erstens durch die ‚einfache Tatsache‘, daß auf seiten der ‚praktischen Politiker‘ aus großindustriellen Arbeiterschichten hervorgegangene Parteiführer ebenso stehen wie auf seiten der ‚proletarisch-revolutionären‘ Genossen, die kleinbürgerlicher Herkunft sind, und zweitens durch ein Zitat aus dem ‚Kommunistischen Manifest‘.

Jene ‚einfache Tatsache‘ wird nun noch viel einfacher dadurch erledigt, daß wir nicht die soziale Herkunft allein für die verschiedene Färbung der sozialpolitischen Auffassung verantwortlich gemacht haben. Hätten wir das getan, so hätten wir in erster Reihe uns selbst die Nase abgeschnitten, denn es gibt keine Parteischicht, die so ausschließlich aus kleinbürgerlichen Kreisen hervorgegangen ist, als die sogenannten ‚Akademiker‘. Woraus denn auch beiläufig hervorgeht, wie fern es uns gelegen hat, den Genossen kleinbürgerlicher Herkunft eine Art Makel anzuhängen. Wir sagen ausdrücklich: ‚Sich ganz über die sozialen Bedingungen hinwegzusetzen, unter denen man aufgewachsen ist, unter denen man arbeitet und wirkt, vermag kein Mensch‘. Neben die soziale Herkunft stellten wir als gleich wirksames Moment das soziale Milieu der politischen Wirksamkeit. Woher kommt es denn, daß der beredteste Vertreter der ‚praktischen Politik‘ der Führer der Partei in dem wesentlich noch kleinbürgerlichen Bayern ist, während derselbe Genosse, solange er in dem wesentlich großindustriellen Sachsen wirkte, der beredteste Vertreter der proletarisch-revolutionären Taktik war? Wir wählen dies Beispiel, weil wir bei Vollmar nicht jene überreizte Empfindlichkeit voraussetzen, die bei anderen Vertretern der ‚praktischen Politik‘ zu herrschen scheint; zudem haben wir kürzlich an einem anderen Orte gerade Vollmars bayerische Tätigkeit mit so uneingeschränkter Anerkennung geschildert, daß er uns nicht wohl im Verdacht haben kann, ihm etwas am Zeuge flicken zu wollen. Im Übrigen gehen wir auf diese Art persönlicher Beweisführung nicht weiter ein; im gün

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[1] Diese Artikel stammten von Franz Mehring und erschienen in der Leipziger Volkszeitung, Nr. 234 bis 238 vom 8. bis 13. Oktober 1898.