Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 207

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Bekenntnis zu dieser oder jener der beiden Begriffsbestimmungen „rl.“s der eine von uns Revolutionär, der andere Opportunist heißen soll, so glaube ich, wird es kein halbes Dutzend Parteigenossen geben, die noch selbst wissen, wohin sie zählen. Ob unsere praktische Tätigkeit nur mittelbar dem Sozialismus vorarbeitet oder ob sie auch unmittelbar auf die Sozialisierung hinwirkt – das ist schon nicht mehr bloß eine theoretische Streitfrage, sondern Wortspielerei und Haarspalterei. Bisher schien es, als sollten die Opportunisten diejenigen sein, welche das Endziel der Partei aus dem Auge lassen oder doch ihre praktische Parteiarbeit nicht jeden Augenblick unter dem Gesichtswinkel des Endziels betreiben. Jetzt ist der Kreis der wahren Revolutionäre noch viel enger gezogen. Wenn da zwei Leute in der Arbeiterbewegung genau das Gleiche tun, so ist doch der eine „revolutionär“, sofern er annimmt, daß seine Tätigkeit „materielle Konsolidation“ der Arbeiterklasse erzielen kann, er ist „Opportunist“, wenn er annimmt, daß die materielle Konsolidation der Arbeiterklasse nicht nur eine „Vorbedingung“ für den Sozialismus sei, sondern auch „unmittelbar sozialisierend“ wirke! Wenn also z. B. jemand, der da meint, daß die Gewerkschaftsbewegung nicht nur die Arbeiter materiell konsolidiere und aufkläre, sondern auch zur Vernichtung rückständiger Kleinbetriebe, zur Förderung der maschinellen Produktionsweise beitrage, wenn ein solcher um dieser Meinung willen, „Opportunist“ heißen soll – so sei es drum. Dann dürfte die Genossin „rl.“ bald die einzige wahre Revolutionärin in der Partei sein.

Ich glaube mit diesen Andeutungen gezeigt zu haben, wie verfehlt die Erwiderung der Genossin „rl.“ auf meinen Artikel ist und wie unklar ihre eigenen Spekulationen sind.

Theoretische Klarheit braucht unsere Partei wie das tägliche Brot und es gibt allerdings eine Fülle von prinzipiellen und taktischen Fragen, die der Diskussion bedürfen. Aber theoretisierende Spitzfindigkeiten und Silbenstechereien können nicht nur die Partei nicht fördern, sondern eher schädigend wirken, indem Schwierigkeiten und Gefahren für die Partei herausgetüftelt werden, die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden sind. Im übrigen trifft das zu, was Genosse Adler in seiner Betrachtung über den Stuttgarter Parteitag sagt: Die Stellung der einzelnen Genossen zur Agrarfrage, zu den Landtagswahlen hat gezeigt, daß sie sich in der Praxis keineswegs nach ihrer Meinung über die Katastrophentheorie und das Endziel gruppieren, sondern nach wesentlich näher liegenden Gesichtspunkten.

Schließlich noch ein Wort über die Form, durch welche Genossin „rl.“ ihre wohl ihr selbst sonst gar zu trocken erscheinende Polemik zu würzen sucht. Meine von ihr gänzlich irrtümlich dargestellten Ausführungen werden mit Liebenswürdigkeiten wie „konfuseste Vorstellung“, spießbürgerlich-seichte Auffassungsweise „kleinbürgerlicher Angstmeier“, „Schicht der Kannegießer“ etc. bedacht. Es liegt mir fern, mit gleicher Münze heimzuzahlen, weil ich derartige Formen der Diskussion unter Parteigenossen nicht für ratsam halte und weil ich den Dresdener Parteigenossen das

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