Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 206

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hältnisse des gegenwärtigen Deutschlands sind viel zu kompliziert, als daß es möglich wäre, die verschiedenartige Stellungnahme einzelner Arbeiterschichten sowie einzelner Parteiführer durch eine einfache Formel zu erklären.

Jedenfalls aber ist mit der „rl.“schen Formel „revolutionär“ und „opportunistisch“ nichts anzufangen. Unter „revolutionär“ haben wir noch stets die Auffassung verstanden, daß das Ziel der modernen Arbeiterbewegung nicht nur irgendwelche Reformen, sondern eine vollständige Beseitigung des Kapitalismus und die Herbeiführung einer planmäßig produzierenden, keine Klassenunterschiede kennenden sozialistischen Gesellschaftsordnung sei. In dieser Auffassung aber ist man sich innerhalb der deutschen Sozialdemokratie in der Theorie durchaus einig, ebenso, wie man sich darüber einig ist, daß für näherliegende wirtschaftliche und politische Reformen gekämpft werden muß. Abweichungen gibt es nur, als bald jener, bald dieser Teil unserer Aufgaben klarer erkannt oder eifriger propagiert wird. Fast komisch wirkt es, wenn angesichts dieser weitgehenden und erfreulichen Einigkeit innerhalb der Partei einige Parteischriftsteller sich gar nicht genug tun können, uns immer und immer das Vorhandensein voneinander völlig entgegengesetzten Richtungen innerhalb der Partei, einer „revolutionären“ und einer „opportunistischen“, einreden zu wollen.

Damit ist aber der Irrfahrten der Genossin „rl.“ noch kein Ende. Ich soll auch meinen Hegel und Engels vergessen haben, denn ich wüßte nicht mehr, daß Katastrophen nicht einen Gegensatz zur Entwicklung, sondern eine Phase der Entwicklung darstellen. Ich habe mich mit der dialektischen Methode in meinem Artikel überhaupt nicht beschäftigt, sondern wiederum lediglich zu erklären versucht, warum bei freier Entwicklung des Kapitalismus gewisse Arbeiterschichten mehr das Moment der allmählichen Entwicklung betonen, andere alle Hoffnung auf einen [ein Wort unleserlich – vermutlich totalen] Zusammenbruch setzen. Genossin „rl.“ aber – und das ist wiederum erfreulich – gibt uns bei Gelegenheit dieser falschen Darstellung dessen, was ich gesagt hatte, endlich eine Begriffsbestimmung für die beiden gegensätzlichen Richtungen in der Partei, der revolutionären und der opportunistischen. Wir hören von ihr, revolutionär sei die Auffassung, daß „der praktische Kampf bloß dazu dient, die Arbeiterklasse materiell zu konsolidieren, politisch zu organisieren, und aufzuklären, um sie zu der Aufhebung der kapitalistischen Gesellschaft durch eine politische und soziale Umwälzung und zur Einführung des Sozialismus vorzubereiten“. Opportunistisch dagegen sei die Auffassung, daß der „praktische, alltägliche Kampf, die Gewerkschaften, die Sozialreformen, die Demokratisierung des Staates, eine unmittelbare sozialisierende Wirkung haben, die durch einfachen sozialen Stoffwechsel die kapitalistische Gesellschaft unmerklich in eine sozialistische verwandelt, d. h. daß sie den Sozialismus stückweise verwirklicht“.

So ist denn glücklich der angeblich in der harten Wirklichkeit des Parteilebens so große Gegensatz zwischen den Revolutionären und den Opportunisten in dem dünnen Äther übergeschickter Theoreterei [sic!] verflüchtigt worden. Wenn nach dem

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