Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 205

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und Zusammenbruch“, dort „Aufstieg und Entwicklung“ formuliert und daß ich die parteiübliche und die opportunistische Richtung durch die Entgegenstellung von „Verelendung“ und „Aufstieg“ zu kennzeichnen geglaubt hätte. Gegen diese meine angebliche Formulierung zieht Genossin „rl.“ zu Felde und entdeckt, daß ich anarchistisch und revolutionär nicht zu unterscheiden wisse und dergleichen mehr.

Nun ist in meinem Artikel aber auch kein Wort davon zu lesen, daß ich als ein notwendiges Zeichen für die revolutionäre Gesinnung die Annahme der Verelendung und des Zusammenbruchs und anderseits als ein Charakteristikum des Opportunismus den Glauben an Entwicklung und Aufstieg ansehe. Ich konnte eine solche Auffassung schon um deswillen nicht äußern, weil überhaupt zwei Richtungen, eine revolutionäre, parteiübliche und eine opportunistische Neuerungsrichtung in der Art, wie sie Genossin „rl.“ zu finden vermeint, nach meiner Meinung gar nicht in der Partei existieren. Freilich muß ich gestehen, daß ich meinesteils, je mehr ich von der Genossin „rl.“ lese, um so weniger klar sehe, was sie eigentlich denkt und will. Jetzt erklärt sie: „Die das Proletariat emporhebende Tendenz der kapitalistischen Entwicklung ist also nicht der Boden einer besonderen Richtung innerhalb der Sozialdemokratie, sondern der gemeinsame Boden der Sozialdemokratie im ganzen.“ Wenn dies aber richtig ist, wenn also schon innerhalb des Kapitalismus eine Hebung der Arbeiterklasse möglich ist – wie konnte dann Genossin „rl.“ in Stuttgart mit besonderem Pathos erklären: Die Bewegung ist nichts und das Ziel alles.“

Ich kann in der öffentlichen Betätigung der Partei nur insofern Unterschiede erkennen, als die einen den wirtschaftlichen und politischen Gegenwartsforderungen, die innerhalb des Kapitalismus als erfüllbar angenommen werden, größere, die andern geringere Bedeutung beilegen. Wir haben Parteigenossen, die da sagen, wir ziehen den Spatzen in der Hand zehn Tauben auf dem Dache, jede gegenwärtige Verbesserung den schönsten Ankündigungen für die Zukunft vor. Wir haben andere Genossen, welche zu betonen lieben, daß alles, was unter dem Kapitalismus zu erreichen sei, wenig bedeute, und daß alles auf das Endziel ankomme. Wir haben ferner Genossen – und das ist die Mehrzahl in der Partei –, welche beide Auffassungen miteinander zu vereinen suchen, welche jede Gegenwartsforderung nur im Hinblick auf das Ziel aufstellen und anderseits das Ziel nur durch Erfüllung der Gegenwartsforderungen für erreichbar halten. Für diese Unterschiede der Auffassung, für dieses bald mehr, bald weniger scharfe Betonen der praktischen Aufgaben des Tages suchte ich – zur Abwehr des Vorwurfes der Kleinbürgerei – in meinem Artikel eine Erklärung. Ich meinte, daß bei freier Entfaltung des Kapitalismus und der Arbeiterklasse – also unter ganz anderen Verhältnissen, als sie in Deutschland herrschen – gerade die großindustrielle Arbeiterschaft eher einer Überschätzung der praktischen Politik zuneige. Nicht aber ist es mir eingefallen, wie Genossin „rl.“ unterschiebt, zu sagen, daß die aufsteigende Schicht des deutschen Proletariats opportunistisch gesinnt, die rückständigen Schichten der Arbeiterklasse aber die revolutionären seien. Die wirtschaftlichen und politischen Ver

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