Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 201

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In Stuttgart nahm eine stark besuchte Versammlung nach dem Referate des Genossen Dietrich über den Stuttgarter Parteitag nach einer lebhaften Diskussion die folgende Resolution an:

„Die am 19. Oktober in Stuttgart tagende Parteiversammlung erklärt, daß bei der sozialdemokratischen Agitation die Endziele in erster Linie betont werden müssen und daß die Partei an ihrer bisherigen proletarisch-revolutionären Taktik festzuhalten hat. Desweiteren gibt sie ihrer Überzeugung Ausdruck, daß es nötig ist, die innerhalb der Partei vorhandenen grundsätzlichen und taktischen Meinungsunterschiede durch eine sachliche Erörterung in der Presse und den Parteiversammlungen zu klären.

Die Parteiversammlung weist mit aller Entschiedenheit die Behauptung des Genossen Vollmar zurück, daß das heutige Proletariat noch nicht den Reifegrad erlangt habe, die ihm zufallende politische Macht vernünftig zu gebrauchen.“

Eine Volksversammlung in Anhalt hat nach dem Bericht des Genossen Peus über den Stuttgarter Parteitag die folgende Resolution angenommen.

„Die Versammlung erklärt: Die endgültige Befreiung des der Produktionsmittel beraubten Proletariats aus wirtschaftlicher Ausbeutung und Knechtschaft und allen daraus hervorgehenden Folgezuständen ist nur möglich durch die Überführung des Privateigentums an Produktionsmitteln in Gemeineigentum, durch die Verwirklichung des sogenannten Endzieles der Sozialdemokratie.

Sie erklärt aber zugleich, daß die Erreichung dieses Endzieles nur wünschenswert wie auch nur möglich ist an der Hand der schrittweisen Entwicklung der Verhältnisse, deren Störung durch Katastrophen nur im Interesse der Reaktion läge.

Sie erklärt endlich, daß diese schrittweise Entwicklung dem Endziel entgegen auch im höchsten Maße im Interesse der diese Entwicklung durchlebenden Generation ist, indem nur an der Hand derselben auch für sie eine stetig steigende Befreiung aus den Knechtschaftszuständen der kapitalistischen Gesellschaft möglich ist.

Die Versammlung erblickt deshalb in der Steigerung der praktischen Tätigkeit der Partei, wie sie die ständige Vermehrung ihrer Anhänger notwendig macht, nichts weniger als eine Gefahr, als vielmehr das einzige Mittel, um das Proletariat sowohl in Zukunft der endgültigen Befreiung von den Banden der Ausbeutung entgegenzuführen als auch ihm in der unmittelbaren Gegenwart das seiner Machtentwicklung entsprechende Maß solcher Freiheit mehr und mehr schon jetzt zu sichern.“[1]

Wir kommen in der nächsten Nummer unseres Blattes auf die Resolution der Anhalter Genossen mit ein paar Worten zurück.

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[1] Resolutionen von Dresden, Stuttgart und Anhalt. In: Vorwärts, Nr. 249 vom 23. Oktober 1898.