Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 191

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Wir geben im obigen das Wesentliche der Diskussion zwischen dem „Vorwärts“ und der „Leipziger Volkszeitung“ wieder. Morgen werden wir unserseits einige Bemerkungen zu dem „gr.“-Artikel machen.

III[1]

rl. In den gestern von uns in der Hauptsache wiedergegebenen Ausführungen des Genossen „gr.“ im „Vorwärts“ möchten wir unsererseits bloß zwei Punkte hervorheben.

1. Wenn er von der für die Partei weniger ersprießlichen „Kampfesweise und Tonart gewisser Parteikreise“ spricht, „die für eine Parteiopposition erachtet werden mögen, die aber ganz gewiß gerade für das Zentralorgan der Partei nicht geziemend wären“, so hat er unzweifelhaft vor allem unser Blatt im Auge.

Der Genosse im „Vorwärts“ versteht offenbar unter „Opposition“ nicht wie alle Welt die Richtung, die im Gegensatz zum Bestehenden und zur Gesamtheit auftritt, sondern die, welche am lautesten spricht; er unterscheidet Richtungen nicht nach ihrem politischen Inhalt, sondern nach dem Piano oder Forte ihrer Sprache. Diese tiefe Auffassungsweise erinnert uns an jene zarte Dame, die in den Shakespeareschen Dramen nur die Unflätigkeit der Ausdrücke bemerkt hat.

Nun, wenn nicht das eigene Verständnis von der hergebrachten Taktik der Partei, so hätten wenigstens die Verhandlungen des Stuttgarter Parteitags die Redakteure des „Vorwärts“ eines Besseren belehren sollen. Denn der Parteitag hat in einer auch für weniger scharfsichtige Politiker verständlichen Weise dargetan: In der Partei gibt es keine Opposition der Linken, es gibt bloß eine Opposition der Rechten. Die Partei in ihrer Gesamtheit steht, wie sie immer stand, auf unserem Standpunkt, in der Opposition zur Partei befinden sich nur die zum Opportunismus neigenden Genossen, die Anhänger der nur „praktischen Politik“. – Wenn aber irgendetwas daran die Schuld trägt, daß diejenigen, die den alten Standpunkt der Partei gegen opportunistische Seitensprünge einzelner Genossen in Schutz nahmen, im Forte sprechen mußten, so war es gerade der Umstand, daß die Redaktion des „Vorwärts“ das ganz unhörbare Pianissimo für die angemessene Sprache des Zentralorgans hielt.

2. Genosse „gr.“ formuliert das Streitobjekt zwischen der revolutionären und der opportunistischen Richtung der Partei in den Worten: hier „Verelendung und Zusammenbruch“, dort „Aufstieg und Entwicklung“, und beweist damit, daß er nicht nur über die gegenseitige Position der Streitenden in dem Parteiganzen, sondern auch über den Inhalt des ganzen Streites die konfuseste Vorstellung hat. Die Entgegenstellung von „Verelendung“ und „Aufstieg“, mit der er die parteiübliche und die opportunistische Richtung zu kennzeichnen glaubt, formuliert tatsächlich etwas ganz anderes – nämlich den Gegensatz zwischen Anarchismus und Sozialismus. Nur die

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[1] Dieser Teil III befindet sich als Teil I in GW, Bd. 1, 1. Halbbd., S. 157 ff.