Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 190

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fen. Um so mehr sollten die Parteiblätter der anderen Industriezentren die Lücke, die durch das Verhalten des „Vorwärts“ entsteht, auszufüllen suchen, und zwar dadurch, daß sie, da die Taktik im allgemeinen theoretisch reichlich genug diskutiert worden ist, nun die proletarische Richtung an der Hand jeder einzelnen praktischen Frage zum Ausdruck und zur Geltung bringen.

Darauf antwortet im „Vorwärts“ vom 16. Oktober Genosse „gr.“[1] Er bestreitet, daß der „Vorwärts“ „seine Aufgabe darin sieht, nicht zu führen“. Nur bringe es seine besondere Stellung als Zentralorgan mit sich, daß der „Vorwärts“ bei Parteistreitigkeiten wesentlich vermittelnd und beschwichtigend auftreten müsse, um die Einheitlichkeit der Partei zu erhalten; der „Vorwärts“ habe seine Aufgabe, zu führen, nur in einer Weise zu lösen sich bemüht, die für die Partei ersprießlicher war, „als es geschehen wäre, wenn er in Fragen der Taktik und der Theorie die Kampfesweise und die Tonart gewisser Parteikreise angenommen hätte, die für eine Parteiopposition angemessen erachtet werden mögen, die aber ganz gewiß gerade für das Zentralorgan der Partei nicht geziemend waren“. Zweitens protestiert „gr.“ gegen die Erklärung der opportunistischen Richtung in unserer Partei durch den Einfluß kleinbürgerlicher Elemente. Nicht „proletarisch-revolutionär“ und „kleinbürgerlich“ sei die Frage, sondern: hier „Verelendung und Zusammenbruch“, dort „Aufstieg und Entwicklung“. Die „Rechte“ und die „Linke“ der Partei, wenn man einmal diese keineswegs zutreffenden Benennungen aufnehmen wolle, beide stehen durchaus auf proletarischem Boden, das Streitobjekt liege nicht auf dem Gebiet der Prinzipien, sondern der Taktik; die Meinungsverschiedenheit entspringe dem Umstand, daß einige Schichten der Arbeiterklasse eine Besserung ihrer Lage in der verflossenen Zeit erzielt haben und eine weitere Besserung auch fürderhin trotz der Herrschaft des Kapitalismus erhoffen, deshalb geneigt sind, die praktische Tätigkeit zu überschätzen, während andere Schichten immer mehr verelenden und deshalb an einer Hebung ihrer Lage verzweifeln und alles von dem großen Tage des erlösenden Sozialismus erwarten. „gr.“ schließt mit der Bemerkung, „um etwaige Mißverständnisse zu vermeiden“, daß er unbeschadet der taktischen Verschiedenheiten unter den heutigen Verhältnissen die schärfste Kampfesweise als eine Notwendigkeit betrachtet.

„Zur Führung dieser Kämpfe ist aber vor allem auch vollste Geschlossenheit unserer Reihen unbedingt erforderlich. Wir halten es daher im Parteiinteresse für nötig, daß bei den unvermeidlichen Diskussionen über taktische Fragen innerhalb der Partei unbegründete Anklagen, wie sie der besprochene Artikel der ‚Leipziger Volkszeitung‘ gegen den ‚Vorwärts‘, sowie bezüglich der angeblichen Kleinbürgerei enthält, möglichst vermieden werden.“[2]

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[1] „gr.“ ist Georg Gradnauer, Redakteur des „Vorwärts“, in dem er in Nr. 243 vom 16. Oktober 1898 den Artikel „Zu den Fragen der Taktik“ veröffentlichte.

[2] Ebenda.