Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 106

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großen allgemeinen Krisen unseres Jahrhunderts, so haben wir deren gehabt: 1825, 1837, 1847, 1857, 18 endlich 1867.[1] Also fast genau in 10jährigen Intervallen je ein wirtschaftlicher Kataklismus, nach jedem einen convulsive Contraktion des Kapitals, nachher eine allmähliche Erweiterung, dann eine plötzliche maßlose Expansion, bis wieder nach ungefähr 10 Jahren die Flügel des Kapitals von der Krise jäh abgeschnitten werden. Bei dieser kurzen u., wie behauptet wird, immer kürzeren Dauer des Produktionszyklus, bei dieser Fähigkeit des Kapitals zu plötzlichen Contractionen u. Expansionen ist die Regulierung der Arbeiterbevölkerung durch die Kapitalgröße vermittelst natürlicher Fortpflanzung wiederum nichts als eine Fiktion. Freilich kann man sagen, daß das Kapital den Tod, a nicht aber, daß es die Geburt der Arbeiter beherrscht: zum Sterben sind bekanntlich drei – vier Tage Nichtessens (Arbeitslosigkeit) genügend, zur Geburt u. Erziehung[2] – lange Jahre.

Anders war dies alles zu Ricardos‘ u. noch mehr zu Ad. Smith‘ Zeiten. Die Maschinerie fing erst an, die Produktionsverhältnisse zu revolutionieren, die allgemeinen Krisen waren erst im Anzug. Zwar erlebte schon Ricardo die erste bedeutende englische Krise, welche der Aufhebung des „Kontinentalsystems“ folgte. Hier war jedoch der kapitalistische Pferdefuß noch durch historische „Zufälligkeiten“ maskiert, u. es war zu natürlich, die Krise nur als eine ganz spezielle Folge der Tücken des „Bösewicht“ Napoleon zu betrachten aufzufassen. Im Allgemeinen war die vorherrschende Produktionsweise – die Manufaktur – auf Handarbeit fußend, die Marktverhältnisse waren noch von England fast allein beherrscht, daher ziemlich stabil u. übersichtlich, die Produktionsperioden demgemäß[3] lang sam u. die technische Proportion zwischen Kapital u. Arbeitskraft bis zu einem gewissen Grad gegeben. Hier liegt die relative Berechtigung der klassischen Lohnfondstheorie, hier aber auch zugleich ihr historisches Urteil. Vorbei sind die schönen Tage des ruhigen, phlegmatischen, gleichsam patriarchalischen Kapitals: nervös, stets aufgeregt, bald „himmelhoch jauchzend“, bald „zu Tode betrübt“, vermag es jetzt weder zu berechnen, wie viel es von der Arbeitskraft im nächsten Augenblick brauchen wird, noch auch die nötige Zahl[4] derselben auf „physiologischem Wege“ sich zu verschaffen: auf der wilden Jagd des Kapitals haben die Arbeiter auf Kommando nur noch Zeit zu sterben,[5] nicht aber geboren zu werden.

Und wohlgemerkt, die Zeit, wo die Lohnfondstheorie ihre relative Berechtigung hatte, war äußerst kurz. Schon unter den Augen Ricardos’ vollzog sich in England der gewaltige industrielle Umwälzungsprozeß. Die zweite Ausgabe des Hauptwerkes von Ricardo enthält schon bezeichnenderweise einen Abschnitt über „Maschinerie“,

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[1] Bemerkung von Prof. Wolf: und 77, 87, 97?

[2] Wolf: braucht es.

[3] Wolf: ?

[4] Wolf: Menge (statt „Zahl“).

[5] Wolf: !