Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 830

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und Moskaus dazu hergeben würde. Aber eine solche Metzelei würde heute sicher der letzte Tag der absolutistischen Regierung sein, ein Tag, wo die Vertreter der Regierung ihre eigenen Köpfe aufs Spiel setzen und – verlieren würden.

Die Reaktion kann ein Blutbad anrichten. Sie kann nicht mehr siegen, sie hat nicht mehr die Kraft dazu. Ihr entgegen steht das Proletariat, das bereits seine Interessen begriffen, sein Ziel erkannt hat, das durch mächtige Bande der Klassensolidarität und der Organisation zusammengeschweißt ist. Ihr entgegen steht das Bauerntum, das eine radikale Lösung der Bodenfrage fordert, eine Lösung, die undenkbar ist ohne den Sieg der Revolution. Ihr entgegen steht derjenige Teil der Demokratie, in dessen Händen gerade all’ die Fäden konzentriert sind, die den Zusammenhang und die Funktion des staatlichen Mechanismus bedingen: Eisenbahnen, Post und Telegraphie, Telephon werden dem Absolutismus in dem Moment den Dienst verweigern, wo er vielleicht nach einer momentan gelungenen Bartholomäusnacht den Sieg zu feiern sich anschicken würde. Ihr entgegen steht ein immer wachsender Teil der Armee, und immer häufiger und häufiger trifft es sich, daß ihr die gedungenen Knechte der Reaktion, die zum Kampfe gegen die Revolution zu dienen berufen sind, selbst die Polizisten, selbst die Polizeispitzel den Dienst verweigern. Ihr entgegen steht endlich jenes internationale Kapital, das in seiner Profitgier und seinen ausschließlichen Sorgen um die Prozente nach „Ruhe und Ordnung“ lechzt, das der Revolution zwar mißtraut, aber noch mehr der Reaktion, die bereits ihre Ohnmacht erwiesen hat, die „Ordnung“ wiederherzustellen und die „ordentliche“ Entrichtung jener Abgaben zu garantieren, womit Rußland von der Raubwirtschaft des Absolutismus zugunsten der internationalen Finanz belastet worden ist.

Der Kapitalismus hat die entlegensten und verschiedenartigsten Teile des russischen Reiches mit festen Banden zu einem Ganzen gefügt. Die Klassenbewegung des Proletariats hat diese materielle, ökonomische Verbindung in die lebendige Form eines einheitlichen politischen Kampfes der Arbeiterklasse gegossen. Die führende Rolle des Proletariats im Kampfe um die russische Freiheit hat in die gesamten freiheitlichen Regungen des Reiches Einheit, Zielsicherheit und Organisation gebracht.

Ein Blutbad in Petersburg würde heute das Signal zu einer allgemeinen Erhebung in der Provinz sein. Ein Triumph der Soldateska in Petersburg würde ihre endgültige Niederlage in der Provinz bedeuten. Die internationale Börse würde einen Petersburger „Sieg“ des Absolutismus damit quittieren, daß sie ihn aus der Liste der zahlungsfähigen Schuldner streichen würde. Die von der internationalen Börse ausgehaltene Regierung wäre in dem Momente tot, wo ihre Nährmutter ihr vollends ihr „Vertrauen“ entziehen würde.

Deshalb können wir um die Schicksale der Revolution ruhig sein. Deshalb kann man auch – falls die absolutistische Regierung nicht gänzlich vom Wahnsinn befallen ist, indem man sich selbst in den Abgrund stürzt – in bezug auf eine Militärdiktatur und ein Blutbad ruhig sein.

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