Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 829

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Die Reaktion mobilisiert ihre Kräfte. Aus luxuriösen Prachtpalästen steigt sie in dunkle Keller hinab und sucht sich hier, in dem von der kapitalistischen Gesellschaft produzierten Schlamm und Schmutz, ihre Verbündeten für die Verteidigung der „heiligen“ Rechte – der schrankenlosen Ausbeutung und der schrankenlosen Willkür. Die Reaktion entwaffnet jenen immer größeren Teil der Armee, dessen Herz im gleichen Takte mit den Herzen der Volksmassen zu schlagen anfängt. Die Reaktion überschwemmt die Hauptstädte mit Militär, zu dem noch der heiße Odem des revolutionären Gewitters durch die dicken Mauern der Kaserne nicht zu dringen vermocht hat. Sie bedankt sich für den „treuen Dienst“ bei den Kosaken, die in ihren Raubzügen in der Mandschurei ein schmähliches Fiasko erlitten haben und sich jetzt durch Raubzüge im eigenen Vaterland schadlos halten wollen. Sie segnet mit Weihwasser und Heiligenbildern die „treuen Truppen“ ein, die bereit sind, gegen die junge Freiheit Sturm zu laufen, um die alte Sklaverei wiederherzustellen. Sie wirft die Trikolore des Absolutismus auf und schreibt darauf ihre Losung: die Militärdiktatur!

Und das Schreckgespenst der Militärdiktatur geht im ganzen Reiche um und macht den „Bürger“ erzittern, d. h. diejenigen Schichten der bürgerlichen Gesellschaft, die ihre unmittelbaren materiellen Privilegien über alles schätzen und deshalb die Revolution und die Gewaltherrschaft der Reaktion gleichmäßig hassen.

Doch mag sich die Reaktion noch so drohend aufrichten, mag sie die ihr noch treu gebliebenen Truppen mobilisieren, mag sie noch so freche Gewaltstreiche, wie die Verhaftung der Führer der Arbeiterbewegung wagen, das Proletariat kann kühn behaupten: Ich fürchte die Reaktion, ich fürchte die Militärdiktatur nicht im mindesten!

Die Sachlage ist klar: Die Reaktion kann jetzt nicht mehr siegen. Und wenn es der Hofkamarilla, wenn es den Gardeoffizieren, den tapferen Helden im Kampfe gegen Wehrlose gelingen sollte, die Regierung zu dem wahnwitzigen Entschluß zu bewegen, eine Militärdiktatur jetzt über Rußland zu verhängen, – nach Tagen und nicht mehr nach Wochen müßte alsdann die Existenz dieser Regierung gezählt werden.

Die Reaktion kann nicht mehr siegen. Sie ist ja nicht mehr imstande, jetzt in Petersburg oder in Moskau ein Blutbad anzurichten, wie sie es vor einiger Zeit noch in der Provinz fertig gebracht hat. Gewiß, auch in Petersburg oder Moskau finden sich noch schließlich Individuen à la Neidhardt oder Kaulbars, die nur auf den Augenblick warten, um ihre Hände im Blute des wehrlosen Volkes zu röten. Aber in der Bevölkerung Petersburgs und Moskaus wird die Regierung eine ausreichende Anzahl Handlanger zur Ausführung ihrer verbrecherischen Pläne nicht mehr vorfinden können. Das gänzliche Fiasko der „patriotischen Demonstrationen“ der „Schwarzen Hunderte“, die in Petersburg und in Moskau unter der Führung des Metropoliten selbst organisiert waren und doch weniger als 1500 Menschen im ganzen um das „schwarze Banner“ zu scharen vermochten, hat es zur Genüge bewiesen. Höchstens kann die Regierung eins unternehmen: eine direkte und brutale Niedermetzelung der wehrlosen Bevölkerung durch die Soldateska, vorausgesetzt, daß sich das Militär Petersburgs

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