Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 821

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sehr schwerfallen, die Ordnung rechtzeitig wieder herzustellen, für den Fall, daß sich die Bevölkerung zu Gewalttätigkeiten gegen die ausständigen Eisenbahner hinreißen lassen sollte.

Die revolutionäre Erhebung in Livland

Kowno, 17. Dezember. (Telegramm der „Petersburger Telegraphen-Agentur“.) Aus allen Kreisen gehen nach amtlichen Meldungen Berichte über den Aufstand der Litauer ein, die sich gegen die bestehende Ordnung auflehnen. Überall sind die Regierungsanstalten und Schulen demoliert. Die Beamten flüchten. Wie festgestellt wurde, agitiert die katholische Geistlichkeit für Fortnahme der Ländereien der orthodoxen Kirche und Austreibung aller Russen aus Litauen. Auch altgläubige Bethäuser wurden demoliert. Bewaffnete Volkshaufen überfielen die Dörfer der Altgläubigen. Auf der Bahn Libau–Romny wurden russische Angestellte mißhandelt. Der Bahnverkehr ist wegen Konzentrierung der Truppen gehemmt; aus allen Waffengattungen werden fliegende Abteilungen formiert, doch ist die Truppenzahl gering.

Das Streikgesetz

Petersburg, 17. Dezember. (Über Eydtkuhnen von der „Petersburger Telegraphen-Agentur“.) Die vom Ministerrat ausgearbeiteten und im Reichsrat durchberatenen Maßnahmen gegen die Ausstände erhielten die Sanktion des Kaisers. Die Aufreizung zum Streik bei den Eisenbahnen und Telegraphenstationen wird mit Gefängnishaft von acht bis 16 Monaten bestraft. Personen, die den Streik beginnen, unterliegen einer Gefängnishaft von vier bis 16 Monaten. Personen, welche die Staatsrechte genießen und eigenmächtig die Arbeit einstellen, werden mit Arrest von drei Wochen bis drei Monaten oder Gefängnishaft von vier bis 16 Monaten bestraft. Außerdem kann das Gericht die Entlassung der Betreffenden verfügen. Der Versuch, durch Gewalt und Drohungen die Arbeitseinstellung herbeizuführen, zieht eine Gefängnishaft von drei bis 16 Monaten nach sich. Die Teilnahme an Gesellschaften, deren Zweck die Herbeiführung von Streiks ist, unterliegt einer Festungshaft von einem Jahr vier Monaten bis vier Jahren mit Verlust einiger Standesrechte. Für die Dauer der eigenmächtigen Einstellung wird das Gehalt nicht ausgezahlt. Angestellte, welche während des Streiks durch Streikende an ihrer Gesundheit geschädigt werden, erhalten Entschädigungen; falls sie arbeitsunfähig gemacht wurden, eine Pension; falls sie getötet wurden oder erhaltenen Verletzungen erlegen sind, werden ihre Familien versorgt.

Der Streik geht weiter

Jekaterinoslaw, 16. Dezember. (Über Eydtkuhnen.) Heute Nachmittag legten die hiesigen Postbeamten die Arbeit nieder. Die Briefträger erschienen nicht, zerbrachen die Briefkästen, griffen einen Wagen, der Briefsäcke enthielt, an, und zerrissen die Briefe. Die Polizei schritt ein, und bei dem Handgemenge wurden zwei Polizisten durch Revolverschüsse verwundet.

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