Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 807

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-6/seite/807

und dadurch die wahren Schuldigen zu verbergen. Kameraden, Soldaten! Wir Eisenbahner erklären hiermit, daß wir, ungeachtet der Streiks, Euch alle nach der Heimat bringen werden; wir haben dies auch nie abgelehnt und werden auch in Zukunft uns nicht weigern, Euch nach der Heimat zu befördern. Wir sind mit Euch und für Euch! Wir fordern, daß man Euch unverzüglich heimbringt. Wir fordern die Wahrheit und die Freiheit! Fort mit den Feldkriegsgerichten! Fort mit der Todesstrafe! Es leben die Brüder Soldaten! Wir bitten die Kameraden, dieses Telegramm in allen mandschurischen Truppenteilen zu verbreiten, damit sie wissen, wer ihre Freunde und wer die Feinde sind.“

Die Sozialdemokratie herrscht in Riga

Petersburg, 14. Dezember. (Über Eydtkuhnen von einem Privatkorrespondenten.) Riga ist vom Reiche gänzlich abgeschnitten. Nach den vorliegenden spärlichen Nachrichten streiken dort alle Fabriken. Nur die Wasserleitung und die elektrische Station sind in Betrieb. Bewaffnete Arbeiter verhindern selbst den Wagenverkehr auf den Straßen. Die Zufuhr von Waren erfolgt nur noch auf dem Wasserwege. Arbeiterposten verhindern das Betreten der Stadt. Wegen Truppenmangels steht der Kriegszustand nur auf dem Papier.

„Syn Otetschestwa“ [Sohn des Vaterlandes] veröffentlicht folgendes Telegramm des livländischen Gouverneurs Sweginzew an den Minister des Innern: „Riga, 10 Dezember. Die Kommandos aller Flußdampfer sind ausständig. Mit den ankommenden Dampfern besteht deshalb keine Verbindung. Es ist notwendig, einen Kreuzer und zwei Torpedoboote hierher zu senden. In den vom Ausstand ergriffenen Kreisen ist der Betrieb der baltischen Bahn eingestellt. Truppen sind auf dem Wasserwege zu entsenden. Schleunige Sendung bedeutender Truppenmassen ist notwendig. Ihre Kuriere sind in Walk abgefangen worden.“

Dasselbe Blatt berichtet, daß die Letten (d. h. die Bauern. Die Red.) nach Riga strömten und sich mit den Arbeitern vereinigten. Die Regierungsgebäude ständen in Flammen. Bahnhof und Telegraph befänden sich in den Händen der Aufständischen. Aus Libau seien Kriegsschiffe nach Riga abgegangen.

Die Nachricht von den Feuersbrünsten beweist, wenn sie nicht erlogen ist, daß auch in Riga die letzte „Garde“ des letzten Nikolaus, die „Schwarzen Hunderte“[1], den Thron und Altar zu retten versuchen.

Vorwärts (Berlin),

Nr. 294 vom 16. Dezember 1905.

Nächste Seite »



[1] Die „schwarzen Banden“, „Schwarzen Hundert“, „Schwarzhundertschaften“ waren eine im „Bund des echt russischen Volkes“, nach dessen Spaltung 1908 auch im „Erzengel-Michael-Bund“, verankerte militant nationalistische und antisemitische Bewegung von Monarchisten. Sie agierten als bewaffnete terroristische Banden des zaristischen Regimes, ermordeten Arbeiter, Intellektuelle und zettelten Pogrome an. Sie setzten sich aus reaktionären Elementen des Kleinbürgertums, des Lumpenproletariats und aus Kriminellen zusammen.