Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 806

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Petersburg, 14. Dezember. (Von einem Privatkorrespondenten. Über Eydtkuhnen.) In den Blättern liegen Meldungen über Unordnungen unter den Sappeuren in Warschau vor. In Lublin veranstalteten Mannschaften des Infanterieregiments Rjasan eine Kundgebung mit roten Flaggen. Die Blätter berichten auch über die Absicht der Residenz, einen Offiziersabend zu bilden und 1906 ein fortschrittliches Militärblatt zu gründen. An der österreichischen Grenze begannen 600 Mann der Grenzwache den Ausstand.

In Sewastopol fand am 9. d. M. eine außerordentliche Versammlung aller Marineoffiziere der 14 Equipage der Schwarzmeerflotte statt, auf der folgende Resolution gefaßt wurde: „1. Die Marineoffiziere wünschen kein weiteres Blutvergießen. 2. Sie wünschen den Hafen von Sewastopol nicht zu verlassen. 3. Sie konstatieren, daß dank der taktlosen Rolle des Admirals Tschuchnin, der die Wünsche der Offiziere ignorierte, die Matrosen das Vertrauen zu ihren Vorgesetzten verloren haben. 4. Sie verlangen, daß die ökonomischen Forderungen der Matrosen erfüllt werden. 5. Sie bitten den Zaren, daß die meuternden Matrosen nicht dem Kriegsgericht, sondern einem öffentlichen Militärgericht unter Zulassung von Zivilverteidigern übergeben werden. 6. Sie verlangen Entsetzung des Admirals Tschuchnin und Einberufung einer Versammlung aller Offiziere der Schwarzmeerflotte, die über die verschiedenen Fragen der Reorganisation der Schwarzmeerflotte Beschlüsse fassen soll.“

In Moskau sind im Troitzkosergienski-Infanterieregiment Unruhen ausgebrochen. Die Soldaten verlangen: 1. Die sofortige Entlassung der Reservisten aus dem aktiven Dienst. 2. Verbesserung der Nahrung. 3. Erhöhung der Gehälter. 4. Bessere Kleidung. 5. Anständige Behandlung seitens der Offiziere. (Politische Forderungen werden durch die offiziösen Nachrichten gewöhnlich unterschlagen, wie dies auch während der Sewastopoler Marineerhebung der Fall war.)

Aufruf der russischen Eisenbahner an die mandschurische Armee

Die in den letzten Tagen aufgetauchten Gerüchte von Unruhen in der mandschurischen Armee suchte die russische Militärverwaltung insofern richtigzustellen, als herrsche nur Unzufriedenheit unter den nach ihrer Heimat strebenden Reservisten, was jedoch infolge verschiedener Streiks und der geringen Leistungsfähigkeit der sibirischen Bahn nicht vermieden werden könne. Nun hat das Zentralbüro der streikenden russischen Eisenbahner eine Agitation zugunsten der sich nach der Heimat sehnenden Soldaten inszeniert und jetzt laufen von fast allen russischen Bahnstationen jenseits und diesseits des Urals telegraphische Mitteilungen ein, wonach die russischen Eisenbahner bereit sind, alle Vorkehrungen zu treffen, um die mandschurische Armee nach Rußland zu bringen. Interessant ist der auf allen russischen Stationen soeben verbreitete, am 12. d. M. nach Harbin abgeschickte Aufruf: „Kameraden, Soldaten! Glaubt nicht der lügenhaften Behauptung des Generals Nadarow und anderen Eurer Vorgesetzten, die da sagen, daß man Euch nach der Heimat nur durch das Verschulden der Eisenbahner nicht bringen kann. Man betrügt Euch, um auf uns zu hetzen

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