Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 794

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-6/seite/794

Nach umlaufenden Gerüchten soll das „Schwarze Hundert“[1] eine Kundgebung beschlossen haben, bei der die Petersburger Zeitungsdruckereien überfallen werden sollen.

Alle diese Gerüchte lassen noch lange und äußerst heftige Kämpfe in Rußland erwarten. Hierbei zeigt es sich aber zum so und so vielten Male, wer der Urheber des Blutvergießens, der Greuel, des Bürgerkrieges ist, wer provoziert und wer die furchtbare Krise mutwillig in die Länge zieht und verschärft: ob die revolutionäre Volksmasse oder aber die Blindheit, der Eigensinn und die verbrecherische Einsichtslosigkeit der Hüter der bestehenden „Ordnung“!

Der Bauernkrieg

Petersburg, 10. Dezember. (Über Eydtkuhnen.) Die Bauernunruhen nehmen einen immer drohenderen Umfang an. Jetzt beginnen solche in nächster Nähe der Bahn Moskau–Kursk. Die Bauern zünden nicht nur Landsitze an, sondern bedrohen auch die benachbarten Bahnstationen. (So berichtet, wohlgemerkt, die offiziöse Telegraphen-Agentur.) Die „friedliche Bevölkerung“ des Reiches erblickt kein anderes Mittel zur „Beruhigung der Gemüter“ als die schleunige Einberufung der Reichsduma. Auf Gesuche in diesem Sinne antwortete Graf Witte[2], die Reichsduma werde bald zusammentreten. Ein abgeändertes Wahlgesetz ist aber bisher noch nicht bekanntgegeben worden. Ebenso wird in der Geschäftswelt gegen die Haltung Durnowos im Post- und Telegraphenstreik protestiert, die in Moskau bereits zu Straßenunruhen geführt hat. Die Verhaftung des Organisators und der Mitglieder des Büros des Verbandes der Post- und Telegraphenbeamten in Moskau dürfte die Bewegung eher nähren als aufhalten.

Aus Moskau wird der „Nowoje Wremja“ [Neue Zeit] telegraphiert: Die Börse ist sehr beunruhigt durch Meldungen aus Nishni-Wolotschek, wo die Arbeiter die Fabrikverwalter mit dem Tode bedrohen und einen erdolcht haben. (Natürlich eine offiziös gefälschte Nachricht.) Auf der Twerschen Manufaktur beschlossen die Arbeiter, die Leitung der Fabrik zu übernehmen.

Die Militärrebellion

Der „Frankfurter Zeitung“ wird gemeldet: Petersburg, 11. Dezember. General Linewitsch empfiehlt die schleunige Rückberufung der Armee, da sonst Militärrevolten im Fernen Osten unvermeidlich seien.

Aus Warschau wird vom 10. d. M. berichtet: In Polen kommen jetzt häufiger einzelne Meutereien des Militärs vor. Heute Nachmittag zogen drei Militärkapellen durch die Stadt, die Freiheitslieder spielten und denen ein großer Volkshaufe mit roten Fah-

Nächste Seite »



[1] Die „schwarzen Banden“, „Schwarzen Hundert“, „Schwarzhundertschaften“ waren eine im „Bund des echt russischen Volkes“, nach dessen Spaltung 1908 auch im „Erzengel-Michael-Bund“, verankerte militant nationalistische und antisemitische Bewegung von Monarchisten. Sie agierten als bewaffnete terroristische Banden des zaristischen Regimes, ermordeten Arbeiter, Intellektuelle und zettelten Pogrome an. Sie setzten sich aus reaktionären Elementen des Kleinbürgertums, des Lumpenproletariats und aus Kriminellen zusammen.

[2] Graf Witte war von 1892 bis 1903 Finanzminister und von Oktober 1905 bis April 1906 Ministerpräsident Rußlands. Er war Monarchist, aber zeitweilig zu einem Bündnis mit der Großbourgeoisie und zu konstitutionellen Zugeständnissen bereit. Letzten Endes war er maßgeblich an der Unterdrückung der Revolution beteiligt.