Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 769

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Regiment ist ein Soldat gefallen und zwei Mann verwundet. Von den Revolutionären sind drei Mann getötet und vier Matrosen verwundet, es geht jedoch das Gerücht, daß die Zahl der von den Einwohnern fortgeschafften Verwundeten erheblich größer sein soll.

Die Petersburger Garnison ist in den letzten Tagen sehr verstärkt worden. Für den Fall von Unruhen ist die Stadt in vier Teile geteilt, in denen das Kommando den Generalen Osserow, Lubenski, Schirm und Trotzki übertragen worden ist. In diesen vier Teilen standen am 3. Dezember 42 Bataillone, 15 Schwadronen, 16 Sotnien [Hundertschaften] Kosaken und zwölf Maschinengewehre. Die Post, das Telegraphenamt und die Fabriken werden stark besetzt.

Am selben Abend wurde eine Versammlung von Post- und Telegraphenbeamten durch berittene Schutzleute und Kosaken, die mit Nagaiken [Knütteln] einhieben, verhindert. Der Arbeiterdeputiertenrat richtete im „Russ“ einen Aufruf an die Post- und Telegraphenbeamten, in dem er mitteilt, daß der Stadthauptmann erklärt habe, er handle auf höheren Befehl. Ein Steinwurf, ein Schuß, habe er gesagt, und die Menge werde durch Gewehrfeuer auseinander getrieben werden. Der Aufruf schließt mit der Aufforderung, nicht im Kampfe zu erlahmen, bis der volle Sieg erreicht sei.

Das Militär-Bezirksgericht verurteilte die an dem Komplott gegen den General Trepow beteiligten Personen zu vier bis zehn Jahren Zwangsarbeit.

Petersburg, 5. Dezember. (Über Eydtkuhnen von der „Petersburger Telegraphen-Agentur“.) Nach den Angaben der Inspektion der Fabriken beträgt gegenwärtig die Zahl der arbeitslosen Fabrikarbeiter in Petersburg 28000 Mann. Wie die Blätter melden, steht die Wiedereröffnung der nach den Januarunruhen[1] geschlossenen elf Abteilungen der von dem Priester Gapon organisierten Arbeitervereine und die Rückgabe der beschlagnahmten Summen bevor. Die Sozialdemokraten eröffneten bereits den Feldzug gegen den Arbeiterverein und Gapon.[2] Die sozialrevolutionäre Partei erklärte in einer Resolution, daß die von Struve und Gapon vorgeschlagenen Maßnahmen den Arbeitern nur Unheil bringen könnten.

Die „Handels- und Industriezeitung“ erfährt aus zuverlässiger Quelle, die Regierung stimme dem Projekt des allgemeinen Wahlrechts zu. (Vermutlich, um die gefallenen Kurse der „Russen“ durch Versprechungen zu heben! R[edaktion] des „V[orwärts]“) Die Lage in Petersburg ist unverändert. Über Stadt und Kreis Kiew ist der Kriegszustand verhängt worden, weil dort Unruhen ausgebrochen sind.

Nach den Informationen des „Russ“ soll die Einberufung der Reichsduma spätestens bis um 28. Januar erfolgen.

Vorwärts (Berlin),

Nr. 285 vom 6. Dezember 1905.

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[1] Gemeint ist der Beginn der russischen Revolution, als am (9.) 22. Januar 1905 in St. Petersburg 140000 Arbeiter zum Winterpalais mit einer Bittschrift zogen, in der sie den Zaren um die Verbesserung ihrer Lebenslage ersuchen wollten. Die Demonstranten, unter denen sich auch Frauen und Kinder befanden, wurden auf Befehl des Zaren mit Gewehrsalven empfangen, über 1000 Menschen wurden getötet und etwa 5000 verwundet. Dieses Blutvergießen löste eine Welle von Proteststreiks und Bauernunruhen in ganz Rußland aus.

[2] Der russisch-orthodoxe Priester Georgi Gapon entstammte einer jüdisch-ukrainischen Bauernfamilie, konvertierte früh zum Christentum und wirkte als Gefängnispfarrer. 1903 hatte er die Versammlung der Russischen Fabrikarbeiter in St. Petersburg ins Leben gerufen, die von der Geheimpolizei Ochrana unterwandert wurde. Dem Demonstrationszug der Petersburger Arbeiter am (9.) 22. Januar 1905 war er mit einer Bittschrift an Zar Nikolaus II. vorangeschritten, der die friedlich Demonstrierenden zusammenschießen ließ.