Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 688

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-6/seite/688

Rebellion in der Marine

Wie die bewundernswerte „Potjomkin“-Revolte in Odessa auf die Kronstädter Marine gewirkt, so hat offenbar die grandiose Revolte der Matrosen von Kronstadt im Fernen Osten – in Wladiwostok ihr Echo gefunden. Die Gewitterwolken über dem Haupte des Absolutismus werden von einem Ende des Riesenreiches zum anderen von fahlen Blitzen durchzuckt, der Donner grollt immer vernehmlicher.

London, 15. November. Aus Wladiwostok berichten Telegramme über Shanghai, daß Soldaten und Matrosen sich empört und die Stadt in Brand gesteckt haben, die völlig zerstört ist. Die Kaufleute und die übrige Bevölkerung flüchteten sich auf in der Bucht von Wladiwostok liegende Schiffe. Über 50 mit Vorräten beladene Schiffe liegen in der Bucht. Weitere warten auf Ladung. Sie werden alle zurückgehalten. Der russische Kreuzer „Askold“ ist am Dienstag von Shanghai in See gegangen, wie es heißt, nach Wladiwostok. Die ebenfalls in Shanghai liegenden russischen Kriegsschiffe „Mandjur“, „Gromoboi“ und „Bobr“ haben Befehl erhalten, in größter Geschwindigkeit nach Wladiwostok in See zu gehen und die Unruhen dort zu unterdrücken. Wie die „Morning Post“ aus Shanghai meldet, haben die Ruhestörungen in Wladiwostok bereits aufgehört.

Petersburg, 15. November. Das seit zwei Tagen in Umlauf befindliche Gerücht von einer Meuterei von Matrosen und Artilleristen in Wladiwostok wird durch eine Drahtmeldung der „Nowoje Wremja“ [Neue Zeit] bestätigt. Die Stadt wurde geplündert und in Brand gesteckt. Am ersten Tage der Unruhen wurden gegen dreihundert Meuterer getötet. Dasselbe Blatt erklärt, von einer Meuterei in Kronstadt könne vom juristischen Standpunkte aus keine Rede sein, da ja die Vorgesetzten bei den Vorgängen nicht zur Stelle waren, es handle sich nur um Exzesse und Plünderungen, die im trunkenen Zustande ausgeführt wurden, also um Verbrechen, die nicht mit Todesstrafe geahndet werden.

Der kundige Leser, den wir namentlich auf den in unserer heutigen Nummer abgedruckten Brief aus Petersburg besonders hinweisen, wird nunmehr in den obigen Drahtmeldungen die Nachrichten von der Meuterei der Matrosen und Soldaten von der Schreckenskunde über Mord, Brandstiftung und Plünderung auseinanderzuhalten wissen. Die Verbrechen und Greueltaten sind ausschließlich das Werk der Regierung und ihrer Organe.[1]

Die Stimmung in Offizierskreisen

Aus Petersburg wird gemeldet: Eine Anzahl Offiziere der Garderegimenter, der vornehmsten Regimenter Rußlands, veröffentlichen in den Petersburger Blättern folgenden Brief: „Leutnant Frolow, der freiwillig die Rolle eines Henkers gegen eine wehrlose Menge übernommen hat und Befehl zum Schießen gab, wobei Hunderte

Nächste Seite »



[1] Siehe auch Rosa Luxemburg: Die Wahrheit über Kronstadt. In: GW, Bd. 6, S. 691 ff.