Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 663

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folgen wird. In Sosnowice suchte eine Arbeiterdeputation den Polizeimeister Kronenberg auf und eröffnete ihm, daß nunmehr ihre eigene Polizei die Überwachung der Sicherheit übernehmen werde. Herr K. konnte dagegen nichts einwenden, als man ihn aber ersuchte, der „Volksmiliz“ die Waffen auszuliefern, die sich bisher im Besitz der Polizei befanden, verwies er darauf, daß er dazu nicht zuständig sei. Die sozialistischen Komitees tragen sich allen Ernstes mit der Absicht, das Stadthaus, die Lokale der Stadtrichter und die Polizeiwachen zu nehmen, um sie durch ihre Behörden besetzen zu lassen. Die Parteien haben die Steuerzahlungen inhibiert, dafür aber selber alle Bürger eingeschätzt. In den Sosnowicer Druckereien, die von den Sozialdemokraten okkupiert sind, so daß die Besitzer nichts zu sagen haben, erscheinen zur Zeit drei Zeitschriften, darunter eine, die in russischer Sprache herausgegeben, für die Soldaten bestimmt ist, um Letztere für die Arbeiterbewegung zu gewinnen. In Sosnowice sind verschiedene Bürger von den Komitees zu Geldstrafen verurteilt worden, weil sie sich gegen Anordnungen der Partei vergangen oder Arbeiter beleidigt hatten. Bemerkt sei noch, daß die öffentliche Sicherheit im Ausstandsgebiet nirgends gestört ist. Bis jetzt lassen die Streikenden die Hausfrauen, die in Modrzeow Fleisch einkaufen und es mit über die Grenze nehmen, ungestört gewähren.

Über die Stimmungsmache

der zaristischen Regierung erhalten wir die folgende Zuschrift: Die Nachrichten aus dem in voller Revolution stehenden Kronstadt sind, wie alle telegraphischen Nachrichten über die russische Revolution, mit großer Vorsicht aufzunehmen. Die Depeschen über die Vorgänge in Kronstadt sind, wie schon dem Leser aufgefallen sein wird, besonders widerspruchsvoll und unklar. Das kommt daher, daß der Telegraph ausschließlich im Regierungsinteresse arbeitet und bestrebt ist, die Revolutionäre vor der öffentlichen Meinung zu diskreditieren.

Was jetzt über Kronstadt gemeldet wird, stimmt auffällig überein mit dem, was im Frühjahr 1871 über die Kämpfe mit der Kommune vor und in Paris gemeldet wurde. Dieselbe Unklarheit, dieselbe Übertreibung, dieselbe Verlogenheit. Damals war es das Haupt der Versailler Ordnungsbanditen, der kleine Thiers, der die Welt über die Vorgänge vor und in Paris anlog, gegenwärtig sind es die beiden russischen Telegraphen-Agenturen, von der eine unter Wittes Einfluß, die andere unter dem Einfluß des Nachfolgers Trepow steht, die das Anlügungsgewerbe betreiben. Beide Büros, so sehr sie sich bekämpfen, sind im vorliegenden Falle gleichmäßig interessiert, die Welt über die wahre Natur der Revolution, namentlich wenn wie in Kronstadt die letzte Stütze der Gewalt, Armee und Marine, beteiligt sind, im Unklaren zu halten und zu täuschen. Also Vorsicht!

Vorwärts (Berlin),

Nr. 266 vom 12. November 1905.

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