Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 624

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beiterinteressen, vor allen Dingen der Achtstundentag in den Vordergrund gestellt werden, darin besteht offenbar die dringendste Aufgabe der Partei in Frankreich. Es ist dies das alte, das Grundproblem der Sozialdemokratie überall und in allen Stadien ihrer Entwicklung: die Vereinigung des Sozialismus mit der Arbeiterbewegung.

Die französische Partei war sich wohl dieser Aufgabe bewußt. Auf der Tagesordnung des Parteitages in Chalon stand als der zweite wichtige Punkt die Frage des Achtstundentages. Es war um so mehr eine dringende Notwendigkeit, diese Frage zur Zentralachse der Beratungen zu machen, als die Agitation für den achtstündigen Arbeitstag gerade von den Gewerkschaftern in der letzten Zeit als das Hauptziel einer allgemeinen „direkten Aktion“ ins Auge gefaßt worden ist. Leider ist die ganze Zeit des Parteitages von der einen Frage der Wahltaktik verschlungen worden. Le mort saisit le vil – der Tote packt den Lebenden. Die vergangene Krise des Parlamentarismus rächte sich noch einmal, – eine parlamentarische Frage war es wieder, die jede Behandlung unmittelbarer Arbeiterfragen unmöglich gemacht hat. Es bleibt nunmehr zu erwarten, daß die Partei ihre tägliche Politik, ihre Agitation auf diese Fragen richtet. Die Periode der parlamentarischen Kämpfe um alte Lösungen des bankrotten kleinbürgerlichen „Republikanismus“ ist jedenfalls endgültig geschlossen. Und die arbeits- und kampfesfreudige geeinigte Partei des französischen Sozialismus wird nunmehr eine neue Ära der sozialistischen Politik in- und außerhalb des Parlaments beginnen: einer nicht bloß oppositionell-republikanischen, sondern auch revolutionären Arbeiterpolitik.

Vorwärts (Berlin),

Nr. 260 vom 5. November 1905.

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