Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 595

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3. die Arbeiter verlangen, obwohl sie die Zerstörung der Wasserleitung nicht wünschen, die sofortige Entfernung der die Wasserleitung beschützenden Truppen; geschieht dies nicht, so soll die Leitung zerstört werden; 4. die Stadt soll künftig nicht mehr die Kosten für die staatliche Polizei und für die gegen die Bürger verwandten Kosaken tragen; 5. die Stadt soll für die persönliche Sicherheit der Delegierten bürgen, da der Generalgouverneur möglicherweise ihre Verhaftung veranlassen werde; 6. die Stadt soll den Arbeitern Waffen geben und eine Bürgermiliz errichten, dann würden die Arbeiter für Sicherheit, Ruhe und Ordnung garantieren. Die Duma versprach, auf diese Forderungen bis Dienstag Antwort zu erteilen. – Gestern ist auch der Ausstand auf der Finnländischen Bahn von Petersburg bis Valkeasaari an der russisch-finnländischen Grenze proklamiert worden.

Gewährung einer wirklichen Verfassung?

Petersburg, 30. Oktober. (Meldung der „Petersburger Telegraphen-Agentur“.) Heute Abend wird ein kaiserliches Manifest veröffentlicht werden, durch welches Graf Witte[1] zum Ministerpräsidenten ernannt wird mit der Aufgabe, die Regierungsfunktionen zu vereinheitlichen, und durch welches ferner bürgerliche Freiheiten, eine gesetzgebende Duma und die Ausdehnung des Wahlrechts gewährt werden.

Straßenkämpfe

Petersburg, 30. Oktober. Fortgesetzt laufen aus der Provinz Meldungen über die Ausbreitung des Ausstandes und der Gärung ein, die in einigen Orten zu blutigen Zusammenstößen geführt hat. In den Ostseeprovinzen sind Riga und Reval Schauplatz blutiger Szenen. In Riga fanden im Laufe des gestrigen Tages mehrere Zusammenstöße mit Truppen statt, wobei viele durch Schüsse und durch blanke Waffen verwundet wurden. In Reval beschlossen die Ausständigen, ihren politischen Forderungen auf jeden Fall Geltung zu verschaffen. Beim Zusammenstoß gaben die Truppen zwei Salven ab, wodurch 45 Personen getötet und etwa noch einmal so viel verwundet wurden. Einen noch weit ernsteren Charakter nahmen gestern die Unruhen in Odessa an, wo der Zugang zur Universität durch Militär versperrt war. Die Arbeitermasse flutete durch die Straßen, schloß die Läden, Cafés und Restaurants und stürzte Straßenbahnwagen um. Die Polizei hob die Sanitätsverbandsstellen auf. Auf der Richelieustraße kam es zu einem bedeutenden Zusammenstoß zwischen Kosaken und Aufständischen, die Barrikaden errichtet hatten. Mehrere Personen wurden verwundet. Auch an anderen Punkten wurden Barrikaden errichtet, annähernd 20 Personen getötet, gegen 200 verwundet. Gegen Abend trugen Kosaken die Barrikaden ab; der Zugang zum Hafen ist militärisch gesperrt.

Vorwärts (Berlin),

Nr. 255 vom 31. Oktober 1905.

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[1] Graf Witte war von 1892 bis 1903 Finanzminister und von Oktober 1905 bis April 1906 Ministerpräsident Rußlands. Er war Monarchist, aber zeitweilig zu einem Bündnis mit der Großbourgeoisie und zu konstitutionellen Zugeständnissen bereit. Letzten Endes war er maßgeblich an der Unterdrückung der Revolution beteiligt.