Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 588

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-6/seite/588

Vereitelte Staatsanleihen!

Eine russische Korrespondenz berichtet: Die jetzige revolutionäre Bewegung in Rußland, die lediglich durch das eigenartige Vorgehen der russischen Machthaber verschuldet ist, hat der russischen Regierung bereits eine Fülle von Hindernissen gebracht, die nunmehr ohne weiteres nicht zu überwinden sind. Zu diesen gehören nicht allein die bekannt gewordenen politischen Forderungen der Arbeiterschaft und der führenden Parteien Rußlands, sondern auch das Bestreben, das ganze jetzige Regime, koste was es wolle, von den Schultern des ungemein schwer belasteten russischen Volkes endgültig abzuschütteln. Um die russische Regierung auch des wichtigen Faktors, des Geldzuschusses zu berauben, wird nun von hervorragender Seite agitiert, daß das russische Volk von jetzt ab keine Anleihen der russischen Regierung anerkennen soll. Ein solches Vorgehen wird wie folgt motiviert: Keine Abenteurer, sondern Personen, deren Namen weit und breit bekannt sind und die nicht nur in Rußland, sondern auch im Auslande ein hohes Ansehen genießen, ersuchen der Öffentlichkeit folgende Mitteilung über ihre Finanzpolitik zu unterbreiten: Jede Anleihe, die gegenwärtig gemacht werden sollte, wird ohne jedes Wanken abgelehnt, weil kein Staat jetzt der russischen Regierung Geld borgen darf, da er sieht, daß das Volk und die Bürokratie miteinander kämpfen und man nicht weiß, wer von den beiden die russische Nation repräsentiert. Wenn es der französischen Republik beliebt, die russische Selbstherrschaft zu unterstützen, so ist es ihr Recht; aber das russische Volk ist wiederum berechtigt, die Verpflichtungen nicht anzuerkennen, die seine Feinde angenommen haben, um das Volk im Sklaventum zu halten. Auf keinen Fall wird das russische Volk Anleihen, die die russische Regierung seit Beginn des Bürgerkrieges machen wird, anerkennen, welcher Art sie auch sein mögen.

Daß die Revolution tatsächlich den russischen Kredit so erschüttert hat, daß keine neue Anleihe möglich ist, beweist folgende amtliche Petersburger Meldung:

Petersburg, 28. Oktober. (Meldung der „Petersburger Telegraphen-Agentur“.) In Ansehung der innerrussischen Verhältnisse, welche nicht ohne ungünstige Wirkung auf das Verhalten der europäischen Geldmärkte gegenüber den russischen Werten bleiben konnten, erklärte der Finanzminister aus eigener Initiative den hier eingetroffenen Bankiers, ohne jedwede Mitteilung seitens der Letzteren, daß er vorschlage, weitere Unterhandlungen über die geplante Kreditoperation bis zur Änderung der erwähnten Verhältnisse und zum Eintreten eines günstigen Verhaltens der ausländischen Geldmärkte den russischen Werten gegenüber hinauszuschieben.

Straßenkämpfe in Reval

Reval, 28. Oktober. (Meldung der „Petersburger Telegraphen-Agentur“.) In der vorigen Nacht fanden mehrfach Zusammenstöße mit der Polizei und den Truppen statt. Die Zahl der hierbei Getöten wird auf acht, die der Verwundeten auf 40 angegeben. Mit Gewehren und Revolvern bewaffnete Haufen verhinderten die Feuerwehr, das in Brand gesteckte Stadttheater zu löschen.

Nächste Seite »