Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 575

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tigungsmittel des „liberalen“ Herrn Witte werden deshalb nur Öl in die Flammen gießen und die „Begehrlichkeit“ der Massen immer mehr entfachen!

Der Zarismus hat seinen Augenblick verpaßt. Zu oft hat er das Volk mit Versprechungen genarrt, zu oft und zu grausam den Brot und Freiheit Heischenden blaue Bohnen verabfolgt. Das naive Zutrauen zu Väterchen ist seit dem Petersburger Blutbad[1] längst zu Grabe getragen worden, und der Respekt vor der Macht der Bürokratie und den Bajonetten ist nicht minder erschüttert. Das Proletariat und die mit ihm verbündeten Schichten des Bürgertums sind zum äußersten entschlossen. Will es der Absolutismus auf die blutige Machtprobe ankommen lassen, so schreckt das Volk auch vor Straßenkämpfen nicht zurück!

Im Panzerzug gegen die Streikenden!

Dem Scherl-Blatt[2] wird aus Petersburg vom 26. Oktober gemeldet: Auf der Nikolausbahn, fünf Werst von Petersburg entfernt, begann ein Haufen streikender Arbeiter, 5000 Personen stark, die Eisenbahnlinie zu zerstören, um jeglichen Verkehr nach Moskau zu unterbrechen. Ebenso wurden die Telegraphen- und Telefonverbindungen zerstört. Als ihnen dies gelungen war, raste der Postzug aus Moskau heran; der Zugführer bemerkte das Zertörungswerk, und es gelang ihm, den Zug anzuhalten. Die wütende Menge prügelte das Zugpersonal durch, rührte dagegen die Passagiere nicht an. Der Dampf wurde auf der Maschine abgestellt, die Reisenden mußten, ihr Handgepäck auf den Rücken, zu Fuß nach Petersburg wandern. Zur Wiederherstellung der zerstörten Eisenbahnlinie wurde ein gepanzerter Zug mit Militär abgesandt, die Waggons vorn und die Lokomotive als Schluß.[3] Die Soldaten waren bereit, sofort zu schießen, falls Streikende sie belästigen würden. Der Fahrdamm wurde durch Ingenieure wiederhergestellt.

Über Straßenkämpfe in Moskau

erhält das genannte Blatt von gestern folgende Mitteilung: Der Verkehrsminister Fürst Chilkow wollte gestern Abend von hier abreisen, aber niemand war bereit, die Lokomotive zu führen oder den Zug zu begleiten. Der Minister erklärte darauf, er werde selbst die Lokomotive führen. Es wurde ihm ein kleiner Zug zur Verfügung gestellt, Chilkow machte selbst alles abgangsfertig und bestieg die Lokomotive. Aber ein Haufen Aufständischer beschoß den Zug und zwang ihn, umzukehren. Erst um 12 Uhr nachts gelang es dem Fürsten, nach Petersburg abzufahren. Die Eisenbahner beginnen jetzt, aktiver vorzugehen. Sie vereiteln gewaltsam jeglichen Versuch, den Verkehr wiederherzustellen. Es kommt bei Zusammenstößen mit Militär und Polizei zu heftigen Straßenkämpfen. Im Hauptpostamt sind seit gestern Abend in allen Abteilungen die Arbeiten eingestellt; das Telegraphenamt arbeitet unter starker militärischer Bedeckung. Die verdorbenen

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[1] Gemeint ist der Beginn der russischen Revolution, als am (9.) 22. Januar 1905 in St. Petersburg 140000 Arbeiter zum Winterpalais mit einer Bittschrift zogen, in der sie den Zaren um die Verbesserung ihrer Lebenslage ersuchen wollten. Die Demonstranten, unter denen sich auch Frauen und Kinder befanden, wurden auf Befehl des Zaren mit Gewehrsalven empfangen, über 1000 Menschen wurden getötet und etwa 5000 verwundet. Dieses Blutvergießen löste eine Welle von Proteststreiks und Bauernunruhen in ganz Rußland aus.

[2] Gemeint ist der „Berliner Lokal-Anzeiger“, der ab 1883 im Verlag von August Scherl erschien und von den Arbeitern „Skandalanzeiger“ genannt wurde.

[3] Im Original: Beschluß.